filmfacts.de



Kino - dafür werden Filme gemacht

Der Herr der Ringe - Die zwei Türme

"Residenz" Bückeburg (17.12.2002)

Kritik von Johannes Pietsch

Es ist schon eigentümlich, wenn angesichts des Gigantimus von Massenszenen, gewaltigen Kulissenbauten und überbordender Tricktechnik eines Films ausgerechnet eine Szene mit einem kleinen, CGI-animierten Fantasiewesen am intensivsten in Erinnerung haften bleibt: Es ist jene Sequenz in "The lord of the rings - The two towers", in der Gollum einen Monolog - oder besser - einen Dialog mit sich selbst hält und stets mit wechselnder Mimik mit seinem alternierenden Ego debattiert, wie man am besten mit den beiden Hobbits Frodo und Sam umgehen solle, um ihnen den begehrten Ring wieder abzujagen. Gollum alias Sméagol, jenes derangierte, fratzenhafte Grottenolm-Geschöpf, einst selbst Halbling vom Familienschlag der Starren, aber durch den jahrelangen Besitz des Einen Rings körperlich deformiert und geistig vergiftet, getrieben von rasender Wut auf die Hobbits, unbändiger Gier nach dem Ring und der schicksalhaften Erbsünde des Mords, den er einst an seinem Freund Déagol beging. Jener Gollum, in dem John Ronald Reuel Tolkien sowohl das biblische Kain-und-Abel-Motiv als auch die zum Zeitpunkt des Entstehens noch als wissenschaftlich fundiert geltenden Erkenntnisse der Psychoanalyse Siegmund und Anna Freuds verarbeitete.

Als "Einverleibung" und "seelischen Kannibalismus" beschrieb der Psychoanalytiker Siegfried Elhardt das Phänomen der Introjektion, bei der das Unterbewusstsein zur Abwehr eines selbstbedrohenden Angst- oder Schuldimpulses Charakterelemente einer anderen Person identifikativ aufnimmt und zu eigen macht. Tolkien machte daraus im Buch eine komplette schizophrene Persönlichkeitsspaltung Gollums, die sich im Film so markant wiederfindet, dass sie selbst eine kleine, verhutzelte und noch dazu virtuelle Figur unheimlich, bedrohlich und beklemmend wenig künstlich erscheinen lässt. Eine augenfällige Relation verbindet die Verfilmung von "The two towers" darin mit der jüngsten Joanne-K.-Rowling-Adaption "Harry Potter and the chamber of secrets", in der ebenfalls ein computergeneriertes Wesen, der Hauself Dobby, vielen der menschlichen Darstellern die Schau stahl. In "The two towers" hinterlässt Gollum, den die Spezialisten der neuseeländischen Softwareschmiede WETA mit über 250 verschiedenen Gesichtsausdrücken ausstatteten und dem Andy Serkis Bewegung und Stimme verlieh, den nachhaltigsten emotionalen Eindruck.

"Well, master, we're in a fix." Es ist schon ein symptomatischer Satz, den Sam Gamgee zu Beginn des Kapitels "The taming of Sméagol", etwa zur Hälfte des zweiten Bandes von J.R.R. Tolkiens "Lord of the rings" ausspricht. Denn in einer misslichen Situation befand sich Regisseur Peter Jackson mit dem zweiten Teil seiner Verfilmung der bekanntesten Roman-Trilogie der Fantasy-Literatur ohne Zweifel: Wie soll und kann man ein Filmwerk, welches weltweit über 870 Millionen Dollar einspielte, bei Fans und Kritik begeisterte Ovationen erntete, für 13 Oscars nominiert und schlussendlich mit vieren der begehrten Trophäe ausgezeichnet wurde, noch übertreffen? Noch dazu, wenn alle drei Teile größtenteils gleichzeitig abgedreht wurden und nach dem Kinostart von "The lord of the rings - The fellowship of the ring" vor einem Jahr nur noch Post Productions blieben, um an Teil zwei zu feilen. Mit "The two towers" bleibt der neuseeländische Independent-Spezialist, der mit der Verfilmung des Jahrzehnte als unverfilmbar geltenden Tolkien-Werks in die Champions-League des internationalen Film-Biz aufstieg, seiner Linie treu, vergleichsweise autark von Gesetzmäßigkeiten des Mainstreams mit der literarischen Vorlage umzugehen. Doch "The two towers" ist trotz noch größeren Aufwands an Tricks, Effekten, Landschaften und Panoramen, Massenszenen, Monstern und Fabelwesen nicht im gleichen Maße perfekt geraten wie sein Vorgänger: Ausgerechnet Peter Jackson unterliefen im Umgang mit der Story handwerkliche Fehler, die einem so versierten, förmlich besessenen Kino-Magier nie hätten passieren dürfen!

"The two towers" erzählt vom Fortgang des Ringkriegs nach dem Bruch des Bundes und Boromirs Tod am Parth Galen. Die drei Handlungsstränge um Aragorn, Legolas und Gimli zum Ersten, Merry und Pippin zum Zweiten sowie Frodo, Sam und Gollum zum Dritten werden nicht wie im Roman in voneinander unabhängige Kapitelblöcke separiert, sondern - ganz dem dramaturgischen Regelwerk des Mediums Film entsprechend - miteinander verschränkt und an jeweils besonders dramatischen Stellen im Stil von Cliffhangern gekoppelt. Dabei gruppierte Jackson einzelne Handlungselemente der Vorlage derart um, dass sich im Gegensatz zum Roman eine innere Spannungskurve mit den beiden Schlachten an Helm's Deep und um Isengart als Höhepunkte und dramatische Schlussakkorde ergeben. Peter Jackson verzichtet dabei völlig auf Exposition, Einführung der Figuren oder Erklärung der Zusammenhänge. Zuschauer ohne tolkienistische Vorbildung und vor allem ohne Kenntnis des ersten Teils dürften also im Gewirr der drei Handlungsebenen ähnlich orientierungslos herumirren wie Frodo und Sam im Emyn Muil.

Massiv gekürzt wurde unter anderem bei Aragorn, Legolas und Gimlis Verfolgung der Orks, die am Ende des ersten Teils die beiden Hobbits Merry und Pippin verschleppten. Recht schnell wechselt die Handlung nach Rohan und anschließend zur Schlucht Helm's Deep, wo die Auseinandersetzung zwischen den Menschen von Rohan und den Truppen des abtrünnigen Zauberers Saruman in einer gewaltigen Schlacht kulminiert. Zeitgleich setzen Sam und Frodo ihren Weg gen Mordor fort, wobei sie im ehemaligen Ringbesitzer Gollum einen unwillkommenen Begleiter erhalten. Intelligenterweise sparte sich Jackson die Begegnung des Trios mit Shelob für den dritten Film auf. Mit der Ungolianth-Nachfahrin wäre nach der Schlacht von Helm's Deep sicher nur unnötig dramatisches Pulver verschossen worden.

Wie schon im ersten Film, der mit der tricktechnisch grandios umgesetzten Belagerung von Barad-dûr am Ende des Zweiten Zeitalters und der Vernichtung Saurons beginnt, eröffnet Peter Jackson mit einem visuellen Paukenschlag: Noch einmal erlebt der Zuschauer den Kampf Gandalfs mit dem Balrog auf der Brücke von Khazad-dûm, doch diesmal folgt die Kamera dem Sturz der beiden Kontrahenten in die Tiefe und lässt den Fortgang des Kampfes in den unermesslichen Abgründen des Hithaiglin miterleben. Es gehört zu den typischen erzählerischen Kniffen Jacksons beim Transfer vom Buch zum Film, dieses Geschehen als Traum Frodos zu interpretieren, der seinem Mentor und Freund Gandalf nachtrauert. In solchen Szenen beweist Neuseelands Kino-Visionär noch immer seine Fähigkeit, sich im Gegensatz zu Chris Columbus' Harry-Potter-Romanbebilderungen zu echter filmischer Souveränität emanzipieren zu können.

Doch Jacksons bislang traumwandlerisch sicherer Umgang mit der literarischen Vorlage, der er in "Fellowship of the ring" weder durch die vielen (notwendigen) Kürzungen und Straffungen noch durch eigene erzählerische Adjunktionen wie zum Beispiel die Aufwertung der Figur Arwens in Geist, Stil und Atmosphäre etwas anhaben konnte, weist in Teil zwei urplötzlich massive Schlagseite auf. Gerade die narrativen Neuelemente aus Jacksons eigener Feder, mit denen er mitunter die eigene Vergangenheit im Garagen-Horror referenziert und die dem ersten Teil den Geist einer autarken, aber nicht den Geist der Vorlage verratenden Adaption verlieh, wirken hier überzogen, gekünstelt, überfrachtet und unstimmig. Wie gelungen passte im ersten Teil Bilbos kurze, aber umso erschreckendere zombiehafte Verwandlung, als ihn in Bruchtal noch einmal die Gier nach dem Ring übermannt, und wie lächerlich wirkt dagegen die dämonische Besessenheit, die Peter Jackson dem Rohan-König Théoden andichtet und damit die Bedeutung der Figur Grima Wormtongue fast völlig ad absurdum führt.

Auf dem Weg in die Schlacht von Helm's Deep lässt sich Jackson von der Lust an Action-Spielchen auf dem Niveau von Popcorn-Kino übermannen. So erfindet er einen Angriff von Warg-Kriegern, welcher tricktechnisch zwar überzeugender umgesetzt ist als alle Velociraptoren Stephen Spielbergs zusammen, aber im Fortgang der Story ebenso wenig Sinn macht wie ein vorrübergehender Beinahe-Tod Aragorns. Um die beiden weiblichen Stars des ersten Teils Liv Tyler und Cate Blanchett überhaupt auf der Leinwand zum Zuge kommen zu lassen, gibt es einige vergleichsweise redundante Rückblenden auf das Treffen in Bruchtal.

Ganz und gar ärgerlich wird die Jackson'sche Interpretation, wenn er Zwergenfürst Gimli (John Rhys-Davies) zur Disney-Witzfigur und dessen Kleinwuchs zum völlig überflüssigen Running Gag degradiert, was unter anderem die abgrundtief düstere Stimmung der Helm's-Deep-Schlacht, die ansonsten ganz auf das hoffnungslose Weltuntergangs-Ambiente der Romanvorlage abgestimmt ist, stellenweise zunichte macht. Weshalb er Frodo und Sam nach ihrer Gefangennahme durch den Gondor-Waffenmeister Faramir auf einmal in Osgiliath auftauchen und dort mit einem Nazgúl zusammentreffen lässt, der von Faramir in einer ausgerechnet aus George Pan Cosmatos' "Rambo 2" entlehnten Kampfsequenz vertrieben wird, dürfte ebenso Peter Jacksons Geheimnis bleiben.

Darstellerisch gibt es an "The two towers" kaum etwas auszusetzen. Ian McKellen und Christopher Lee thronen nach wie vor als souveräne Kontrahenten über dem Ganzen, während Elijah Wood überzeugend den körperlichen und seelischen Verfall des Ringträgers Frodo zur Geltung bringt. Durch die storybedingte geringere Präsenz Gandalfs geht das Szepter der Handlung eindeutig an Viggo Mortensen: Der 44jährige Aragorn-Darsteller dominiert das schauspielerische Geschehen mit herausragender mimischer und physischer Präsenz und kann sich vor allem in Action-Sequenzen phantastisch in Szene setzen, wobei er von Orlando Bloom (Legolas) und John Rhys-Davies (Gimli) ebenso glänzend ergänzt wird. Brad Dourif, der seit seiner Rolle als suizidaler Psychiatrie-Patient Billy Bibbit in "One flew over the cuckoo's nest" ein festes Abonnement auf Schurken- und Psychopathenrollen gebucht hat, kann als schleimiger Königsberater Grima Wormtongue die ganze Bandbreite seiner Grimassenkunst ausspielen. Bernhard Hill, der 1997 als Kapitän auf James Camerons "Titanic" unterging, spielt als Rohans König Théoden solide, während die Neuzugänge Miranda Otto als Eowyn und David Wenham als Faramir farblos bleiben und auf bessere Szenen in Teil drei hoffen lassen.

Auftrumpfen kann "The two towers" wie schon sein Vorgänger mit Ausstattung, Design und vor allem seiner superben Kameraarbeit. Peter Jacksons Liebe zum Detail und zum Perfektionismus jeder noch so kleinsten Einstellung grenzt erneut ans Fanatische und überrollt den Zuschauer mit einem Bildersturm von archaischer Urgewalt und schwindelerregender optischer Wucht. Mit atemberaubenden Kamerafahrten setzt Peter Jackson seine neuseeländische Heimat in Szene, wobei ihm wiederum Landschaftspanoramen von betörender Schönheit und majestätischer Erhabenheit gelingen. In den Action-Sequenzen zeigt "The two towers" schlicht perfekt choreographierte Kampfszenen und komponiert im Finale an Helm's Deep ein apokalyptisches Schlachtengetümmel, welches visuell Seinesgleichen suchen dürfte. Tricktechnisch überzeugen vor allem die Uruk-Hai, bei denen Peter Jackson seinem Faible für Trash-Horror marke "Braindead" frönt, sowie die Warg. Eindeutig zu gutmütig fallen die Ents aus, die im Roman zwar als sehr bedächtig, aber nichtsdestotrotz ungemein gefährlich geschildert werden. Speziell deutsche Kinozuschauer werden sich bei Treebeard der Assoziation zum Steinbeißer aus Roland Emmerichs "Unendlicher Geschichte" kaum erwehren können.

Nach wie vor ist Peter Jacksons filmisches Kolossalgemälde das Beste, was der lange als unverfilmbar geltenden Romanvorlage passieren konnte. Dem Neuseeländer gelingt es unverändert, ein eigenständiges Werk zu schaffen und keine geschriebenen Buchstaben in Bildern nachzuerzählen. Sein Versuch, dem düster-martialischen Monumentalepos vom archaischen Kampf des Guten gegen das Urböse mittels selbstironischer Versatzstücke etwas Zeitgeist beizubringen, dürfte jedoch als gescheitert angesehen werden. Filmtechnisch hat Peter Jackson seine Tolkien-Adaption nach wie vor fest im Griff. Inhaltlich wird er sich jedoch für den dritten, noch sehr viel düsteren Teil ein gehöriges Quantum an Selbstdisziplin auferlegen müssen, um erzählerisch nicht zu scheitern.

Besucher Nr. seit 29.12.2002


Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.

Partner: Kinofilme | Kinofilme.info | Celluloid-Dreams.de | jeichi.com | cineforen.de | Bolly-Wood | Kinofilmtrailer und Kinonews

Impressum.