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Kino - dafür werden Filme gemacht

xXx

"Residenz" Bückeburg (16.10.2002)

Kritik von Johannes Pietsch

Auch wenn Pierce Brosnan in diesem Herbst ein weiteres Mal als Agent mit der Lizenz zum Martinischütteln über die Leinwand hetzt, gehört die Ära der eleganten Gentleman-Spione längst der cineastischen Historie an. Selbst James Bond persönlich erkannte dies und ließ sich in einem Anflug selbstironischer Realitätssicht in einem seiner jüngeren Filme von Judi Dench als "sexistischer, frauenfeindlicher Dinosaurier" titulieren. Heutige Actionhelden sind von dem mondänen Superspion mit der Doppelnull ungefähr so weit entfernt wie die Wildecker Herzbuben von einer Teilnahme am Iron Man auf Hawaii, sind jünger, schneller, draufgängerischer, dabei frecher und ungehobelter als zehn Bonds zusammen, haben mit feingeistiger Abendunterhaltung ungefähr so viel zu tun wie Dieter Bohlen mit dem Nobelpreis für Literatur und sehen mitunter genauso aus wie die Typen, die einst Sean Connery und Roger Moore verprügeln durften.

Vin Diesel, Bizeps-Star aus "Pitch Black" und "Fast And The Furious", ist der Prototyp dieser neuen Generation von Actionhelden. Der grobschlächtig gebaute, ein wenig kleinkindlich wirkende und immer leicht unterbelichtet dreinschauende Muskelmane ebnete sich seinen Weg zum 20-Millionen-Dollar-pro-Flm-Paycheck über eine kleine Nebenrolle (mit frühem Abgang) in Spielbergs "Saving Private Ryan", den charismatischen Schwerverbrecher Riddick in "Pitch Black" und den sympathischen, aber etwas farblosen Helden in "Fast And The Furious". In "Triple X", der zweiten Zusammenarbeit von Diesel und Cohen nach "Furious", markiert der Testosteronbolzen nun den prallen Anti-Bond, die fleischgewordene Obercoolness als diametralen Gegenentwurf zum klassischen Agentenformat im feinen Anzug und Walther PPK im Revers: Muskelbepackt, tätowiert, kahlrasiert, mit einer Klappe so groß wie ein Flugzeughangar, ohne Sinn für Vaterlandspflichten, dafür ohne Rücksicht auf Verluste immer auf der Suche nach dem endgültigen Adrenalinkick.

Diesen Musterproll des Snowboard-Zeitalter schickt Regisseur Rob Cohen in "Triple X" als Agenten wider Willen auf eine Achterbahnfahrt reinsten Popcorn-Formats. Xander "XXX" Cage heißt der Mann, der mit Sportarten seine offensichtlich nicht zu knapp bemessene Freizeit verbringt, bei denen Normalsterbliche schon beim Hinsehen Schwindelanfälle erleiden. Seine Idee, einem kalifornischen Senator die Edelkarosse zu klauen und das teure Auto als Dank für dessen erzkonservatives Engagement gegen Videospiele, LAN-Partys und ähnliche jugendgefährdende Aktivitäten in seine Atome zu zerlegen, kommt dem Adrenalin-Wonneproppen jedoch teuer zu stehen: Die gruftige Siegesfeier, bei der der Meister des unkonventionellen Gleitschirmsprungs gerade einen Kontrakt für ein eigenes Videogame unterzeichnen will, wird - unverhofft kommt bekanntlich oft - von einem Einsatzkommando von Polizei und CIA aufgelöst, und nur kurze Zeit später sieht sich der kurzzeitig narkotisierte Teilzeit-Anarcho einem ungewöhnlich narbengesichtigen Samuel L. Jackson gegenüber, der ihn zwingt, an ein paar äußerst ruppigen Tauglichkeitstest für Vater Staat teilzunehmen.

Der Rest der Handlung ist ebenso hanebüchen wie belanglos. Xander Cage wird als Aushilfsagent gegen einen russischen Superschurken in Marsch gesetzt, der mit einer dubiosen biologischen Geheimwaffe Prag entvölkern und damit einen internationalen Konflikt heraufbeschwören will. Dieses Uraltmotiv aus zig James-Bond-Streifen und ungefähr noch hundert mal so vielen filmischen Epigonen bildet aber ohnehin nur das äußerst klapprige Handlungsgerüst, um den Trizeps von Bollerkopp Vin Diesel möglichst oft und akurat in Szene zu setzen sowie Stuntmen und Pyrotechnikern ein maximales Quantum an Arbeit aufzubürden.

Anarchie gegen Anarchie ist das Motto der Aktion: "Wollen wir ein weiteres Kaninchen in die Schlangengrube schicken", fragt Samuel L. Jackson nach dem erneuten frühzeitigen Dahinscheiden eines seiner Schlips- Agenten, "oder schicken wir ihnen endlich unsere eigene Schlange?" Die soll Xander Cage heißen, so der simple Gedankengang von CIA-Mentor und Drehbuchschreiber. Wenn sich einer derart vehement gegen die Errungenschaften des zivilisierten Abendlandes versündigt, kann er sich doch genauso gut in Diensten von Vater Staat an ausländischen Terroristen austoben. Hätten wir das doch nur schon vor dem 11. September gewusst!

"Triple X" ist der Film zum Stunt: Quadratisch gut und praktisch frei von allen lästigen Intelligenzstoffen. Wären all diese Verfolgungsjagden, Schießereien und Explosionen nicht derartig großformatig und bigbudgetiert in Szene gesetzt und mit einem Darsteller wie Samuel L. Jackson garniert - "Triple X" wäre ein Film für das unterste Videotheken-Regal. Schaltet man jedoch von Beginn des Films das Gehirn auf Autopilot und die Bierzuführung auf automatische Befüllung, stört die konsequente Logikabstinenz des Drehbuches nur wenig. Motocross, Fallschirm und Paragliding - Extremsport ist Trumpf in diesem Film. "Triple X" fängt da an, wo "Riders" aufhörte, inklusive einer beinahe exakt kopierten Brückenszene. Der atemlose Actionmarathon steigert sich in bester Videoclip-Optik und unterlegt mit hämmerndem Heavy-Metal-Score bis zu einer aberwitzigen Snowboard-Abfahrt vor einer herandonnernden Lawine, bei der Rob Cohens Tricktechniker mehr Schnee verpulvern als in allen Schamhaaren Christoph Daums je hätte gefunden werden können.

Rob Cohen ist ganz offenkundig ein großer James-Bond-Fan und vor allem ein glühender Verehrer von "The spy who loved me" (1977) und "Moonraker" (1979). Zwar muss in der Eingangssequenz von "Triple X" ein adretter Agentenbub mit Kommunionkindgesicht, Föhnfrisur und Designer-Jackett im Gewimmel eines Heavy-Metal-Konzerts mit der deutschen Band Rammstein jämmerlich vor die Frolic-Konsumenten gehen, womit plakativ die Ära des Gentleman-Spionagefilms zu Grabe getragen werden soll, doch lässt Rob Cohen es sich nicht nehmen, die beiden 007-Klassiker bis auf das dürre Gerippe Roger Moores zu sezieren und für seinen 90-Minuten-Actionclip in Chrom und Blech zu recyclen.

Der Plan des durchgeknallten russischen Terroristen eines globalen Genozids ist aus "Moonraker", die russische Agentin Yelena - katzenhaft gespielt von Asia Argento, der talentierten, aber hier fraglos unterforderten Tochter des Giallo-Papstes Dario Argento - natürlich aus "Spy", ebenso wie die rasante Ski-Verfolgungsjagd, aus der Rob Cohen den spektakulären Stunt-Höhepunkt mit der Lawine macht. Der massierte Angriff tschechischer Polizeikräfte auf die Behausung des Superschurken im Finale des Films erinnert frappant an den Kampf Bonds und verbündeter britischer Truppen auf dem U-Boote-schluckenden Supertanker des nach Weltherrschaft gierenden Reeders Stromberg. Insbesondere, wie sich Cage gegen einen Scharfschützen Zugang zur menschheitsbedrohendem Geheimwaffe verschafft, wurde direkt aus "Spy" abgekupfert. Und sogar der Titel ist geklaut: "Triple X", so lautete in "The spy who loved me" das Codewort für die russische Agentin Anya Amasova.

"Triple X" hat neben dem rundum gelungenen Stunt'n'Fun zwei Kardinalfehler. Zum einen lässt Rob Cohen jegliches Gespür für Timing vermissen und knüpft ungerührt dort an, wo seine bleierne Gib-Gas-ich-will-Spaß-Posse "The Fast and the Furious" endete: Im lärmenden, explodierenden Nichts. Die fraglos furiosen Action-Sequenzen wirken weitgehend lieblos, ohne jegliche Steigerung oder inneren Spannungsbogen aneinandermontiert. Zahlreiche zweifellos rasant ins Bild gebannte Schießereien und Verfolgungsjagden hören unvermittelt einfach auf, ohne dass den Szenen eine Pointe zugestanden würde.

Zum anderen fällt Vin Diesel in Mimik und Ausstrahlung trotz ehrlichen Bemühens noch weit hinter die Fähigkeiten eines Arnold Schwarzeneggers zurück - der zeigte vielmehr in "True Lies", wie man Bond wirklich parodistisch aufs Korn nehmen kann. In "Pitch Black" hatte Diesel als interstellarer Schwerverbrecher mit schwarzer Brille und motorölglasierter Glatze Ausstrahlung - als Anarcho-Sportler, der auf einmal sein Herz fürs Vaterland und die Menschheit entdeckt, nicht.

Ian Fleming ist es gelungen, der Nostalgie einen Nimbus zu geben. Sein Held war der Spion, der aus der Gefühlskälte kam, eine Erinnerung an eine goldene Ära amoralischer Männlichkeit. Auch wenn Vin Diesel den Bizeps noch so schwellen läßt: Von einer Stabübergabe des Agenten mit der Doppel-Null-Lizenz an eine jüngere Agentengeneration ist Rob Cohens Film so weit entfernt wie Miss Moneypenny von einer sexuellen Erfahrung.


Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.

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