Auch wenn Pierce Brosnan in diesem Herbst ein weiteres Mal als Agent mit
der Lizenz zum Martinischütteln über die Leinwand hetzt, gehört die Ära
der eleganten Gentleman-Spione längst der cineastischen Historie an.
Selbst James Bond persönlich erkannte dies und ließ sich in einem Anflug
selbstironischer Realitätssicht in einem seiner jüngeren Filme von Judi
Dench als "sexistischer, frauenfeindlicher Dinosaurier" titulieren.
Heutige Actionhelden sind von dem mondänen Superspion mit der Doppelnull
ungefähr so weit entfernt wie die Wildecker Herzbuben von einer
Teilnahme am Iron Man auf Hawaii, sind jünger, schneller,
draufgängerischer, dabei frecher und ungehobelter als zehn Bonds
zusammen, haben mit feingeistiger Abendunterhaltung ungefähr so viel zu
tun wie Dieter Bohlen mit dem Nobelpreis für Literatur und sehen
mitunter genauso aus wie die Typen, die einst Sean Connery und Roger
Moore verprügeln durften.
Vin Diesel, Bizeps-Star aus "Pitch Black" und "Fast And The Furious",
ist der Prototyp dieser neuen Generation von Actionhelden. Der
grobschlächtig gebaute, ein wenig kleinkindlich wirkende und immer
leicht unterbelichtet dreinschauende Muskelmane ebnete sich seinen Weg
zum 20-Millionen-Dollar-pro-Flm-Paycheck über eine kleine Nebenrolle
(mit frühem Abgang) in Spielbergs "Saving Private Ryan", den
charismatischen Schwerverbrecher Riddick in "Pitch Black" und den
sympathischen, aber etwas farblosen Helden in "Fast And The Furious". In
"Triple X", der zweiten Zusammenarbeit von Diesel und Cohen nach
"Furious", markiert der Testosteronbolzen nun den prallen Anti-Bond, die
fleischgewordene Obercoolness als diametralen Gegenentwurf zum
klassischen Agentenformat im feinen Anzug und Walther PPK im Revers:
Muskelbepackt, tätowiert, kahlrasiert, mit einer Klappe so groß wie ein
Flugzeughangar, ohne Sinn für Vaterlandspflichten, dafür ohne Rücksicht
auf Verluste immer auf der Suche nach dem endgültigen Adrenalinkick.
Diesen Musterproll des Snowboard-Zeitalter schickt Regisseur Rob Cohen
in "Triple X" als Agenten wider Willen auf eine Achterbahnfahrt reinsten
Popcorn-Formats. Xander "XXX" Cage heißt der Mann, der mit Sportarten
seine offensichtlich nicht zu knapp bemessene Freizeit verbringt, bei
denen Normalsterbliche schon beim Hinsehen Schwindelanfälle erleiden.
Seine Idee, einem kalifornischen Senator die Edelkarosse zu klauen und
das teure Auto als Dank für dessen erzkonservatives Engagement gegen
Videospiele, LAN-Partys und ähnliche jugendgefährdende Aktivitäten in
seine Atome zu zerlegen, kommt dem Adrenalin-Wonneproppen jedoch teuer
zu stehen: Die gruftige Siegesfeier, bei der der Meister des
unkonventionellen Gleitschirmsprungs gerade einen Kontrakt für ein
eigenes Videogame unterzeichnen will, wird - unverhofft kommt
bekanntlich oft - von einem Einsatzkommando von Polizei und CIA
aufgelöst, und nur kurze Zeit später sieht sich der kurzzeitig
narkotisierte Teilzeit-Anarcho einem ungewöhnlich narbengesichtigen
Samuel L. Jackson gegenüber, der ihn zwingt, an ein paar äußerst
ruppigen Tauglichkeitstest für Vater Staat teilzunehmen.
Der Rest der Handlung ist ebenso hanebüchen wie belanglos. Xander Cage
wird als Aushilfsagent gegen einen russischen Superschurken in Marsch
gesetzt, der mit einer dubiosen biologischen Geheimwaffe Prag entvölkern
und damit einen internationalen Konflikt heraufbeschwören will. Dieses
Uraltmotiv aus zig James-Bond-Streifen und ungefähr noch hundert mal so
vielen filmischen Epigonen bildet aber ohnehin nur das äußerst klapprige
Handlungsgerüst, um den Trizeps von Bollerkopp Vin Diesel möglichst oft
und akurat in Szene zu setzen sowie Stuntmen und Pyrotechnikern ein
maximales Quantum an Arbeit aufzubürden.
Anarchie gegen Anarchie ist das Motto der Aktion: "Wollen wir ein
weiteres Kaninchen in die Schlangengrube schicken", fragt Samuel L.
Jackson nach dem erneuten frühzeitigen Dahinscheiden eines seiner
Schlips- Agenten, "oder schicken wir ihnen endlich unsere eigene
Schlange?" Die soll Xander Cage heißen, so der simple Gedankengang von
CIA-Mentor und Drehbuchschreiber. Wenn sich einer derart vehement gegen
die Errungenschaften des zivilisierten Abendlandes versündigt, kann er
sich doch genauso gut in Diensten von Vater Staat an ausländischen
Terroristen austoben. Hätten wir das doch nur schon vor dem 11.
September gewusst!
"Triple X" ist der Film zum Stunt: Quadratisch gut und praktisch frei
von allen lästigen Intelligenzstoffen. Wären all diese
Verfolgungsjagden, Schießereien und Explosionen nicht derartig
großformatig und bigbudgetiert in Szene gesetzt und mit einem Darsteller
wie Samuel L. Jackson garniert - "Triple X" wäre ein Film für das
unterste Videotheken-Regal. Schaltet man jedoch von Beginn des Films das
Gehirn auf Autopilot und die Bierzuführung auf automatische Befüllung,
stört die konsequente Logikabstinenz des Drehbuches nur wenig.
Motocross, Fallschirm und Paragliding - Extremsport ist Trumpf in diesem
Film. "Triple X" fängt da an, wo "Riders" aufhörte, inklusive einer
beinahe exakt kopierten Brückenszene. Der atemlose Actionmarathon
steigert sich in bester Videoclip-Optik und unterlegt mit hämmerndem
Heavy-Metal-Score bis zu einer aberwitzigen Snowboard-Abfahrt vor einer
herandonnernden Lawine, bei der Rob Cohens Tricktechniker mehr Schnee
verpulvern als in allen Schamhaaren Christoph Daums je hätte gefunden
werden können.
Rob Cohen ist ganz offenkundig ein großer James-Bond-Fan und vor allem
ein glühender Verehrer von "The spy who loved me" (1977) und "Moonraker"
(1979). Zwar muss in der Eingangssequenz von "Triple X" ein adretter
Agentenbub mit Kommunionkindgesicht, Föhnfrisur und Designer-Jackett im
Gewimmel eines Heavy-Metal-Konzerts mit der deutschen Band Rammstein
jämmerlich vor die Frolic-Konsumenten gehen, womit plakativ die Ära des
Gentleman-Spionagefilms zu Grabe getragen werden soll, doch lässt Rob
Cohen es sich nicht nehmen, die beiden 007-Klassiker bis auf das dürre
Gerippe Roger Moores zu sezieren und für seinen 90-Minuten-Actionclip in
Chrom und Blech zu recyclen.
Der Plan des durchgeknallten russischen Terroristen eines globalen
Genozids ist aus "Moonraker", die russische Agentin Yelena - katzenhaft
gespielt von Asia Argento, der talentierten, aber hier fraglos
unterforderten Tochter des Giallo-Papstes Dario Argento - natürlich aus
"Spy", ebenso wie die rasante Ski-Verfolgungsjagd, aus der Rob Cohen den
spektakulären Stunt-Höhepunkt mit der Lawine macht. Der massierte
Angriff tschechischer Polizeikräfte auf die Behausung des Superschurken
im Finale des Films erinnert frappant an den Kampf Bonds und verbündeter
britischer Truppen auf dem U-Boote-schluckenden Supertanker des nach
Weltherrschaft gierenden Reeders Stromberg. Insbesondere, wie sich Cage
gegen einen Scharfschützen Zugang zur menschheitsbedrohendem Geheimwaffe
verschafft, wurde direkt aus "Spy" abgekupfert. Und sogar der Titel ist
geklaut: "Triple X", so lautete in "The spy who loved me" das Codewort
für die russische Agentin Anya Amasova.
"Triple X" hat neben dem rundum gelungenen Stunt'n'Fun zwei
Kardinalfehler. Zum einen lässt Rob Cohen jegliches Gespür für Timing
vermissen und knüpft ungerührt dort an, wo seine bleierne
Gib-Gas-ich-will-Spaß-Posse "The Fast and the Furious" endete: Im
lärmenden, explodierenden Nichts. Die fraglos furiosen Action-Sequenzen
wirken weitgehend lieblos, ohne jegliche Steigerung oder inneren
Spannungsbogen aneinandermontiert. Zahlreiche zweifellos rasant ins Bild
gebannte Schießereien und Verfolgungsjagden hören unvermittelt einfach
auf, ohne dass den Szenen eine Pointe zugestanden würde.
Zum anderen fällt Vin Diesel in Mimik und Ausstrahlung trotz ehrlichen
Bemühens noch weit hinter die Fähigkeiten eines Arnold Schwarzeneggers
zurück - der zeigte vielmehr in "True Lies", wie man Bond wirklich
parodistisch aufs Korn nehmen kann. In "Pitch Black" hatte Diesel als
interstellarer Schwerverbrecher mit schwarzer Brille und
motorölglasierter Glatze Ausstrahlung - als Anarcho-Sportler, der auf
einmal sein Herz fürs Vaterland und die Menschheit entdeckt, nicht.
Ian Fleming ist es gelungen, der Nostalgie einen Nimbus zu geben. Sein
Held war der Spion, der aus der Gefühlskälte kam, eine Erinnerung an
eine goldene Ära amoralischer Männlichkeit. Auch wenn Vin Diesel den
Bizeps noch so schwellen läßt: Von einer Stabübergabe des Agenten mit
der Doppel-Null-Lizenz an eine jüngere Agentengeneration ist Rob Cohens
Film so weit entfernt wie Miss Moneypenny von einer sexuellen Erfahrung.
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