Ein von unstillbarer Todessehnsucht getriebener Mittdreißiger zieht nach zahlreichen Selbstmordversuchen zu seinem älteren Bruder, der ein Antiquariat betreibt. Als er sich in die Frau des an Krebst Erkrankten zu verlieben scheint, lernt er trotz Rückfällen das Leben zu lieben. Lone SCHERFIG („Mama klaut“, 1998, „Italienisch für Anfänger“, 2000) hat einen Film gemacht, der sich um das Leben dreht, um Liebe, Tod, Glück und Unglück, Schuld, Opferbereitschaft, Sehnsucht, Einsamkeit, Traurigkeit, Tristesse des Alltags. Mit einer gehörigen Portion schwarzen englischen Humors, versucht er sich diesen Themenkomplexen zu nähern. Unterstützt von großartigen Schauspielern verdichtet sich der Film zu mehrdeutigen Episoden und überrascht mit einer (bitter-)süßen Tragikomödie. Er ist humorvoll, eine nachdenklich machende Studie über die Schwere des menschlichen Seins, aber auch seiner Erträglichkeit.
„Hast Du ein riesiges, weißes Licht gesehen?“, fragt Harbour (Adrian RAWLINS) seinen Bruder, der soeben einsehen musste, dass ein erneuter Selbstmordversuch gescheitert ist. „Da ist nichts“ antwortet Wilbur, dort ist nur „Schwärze und völliges Schweigen“, manchmal ist es „wie in Wales zu sein“. In diesem Dialog findet sich die gesamte tragikomische Stimmung des Films wieder. Er scheint ihn auf den Punkt zu bringen. Das ist nur aus der Distanz zu verstehen, die uns von dem Geschehen trennt; denn Gegenwart ist im Kino immer nur die Gegenwart des Vergangenen. So wie sie auch im Leben ein schmerzhafter Prozess ist, den man begreifen lernen muss, so führt der zeitliche Riss geradezu durch sie hindurch, durch die Geschehnisse. Sie zeigen wie Menschen zerbrechen: ein grausames Spiel mit der Zeit. Wilbur reagiert nicht mit eingeübten Reflexen auf sein Unvermögen, sich dem Leben zu stellen; denn sonst würde er nur Schatten sehen, Schemen in der Nacht.
Und hier nimmt der Film die überraschende Wendung, eine makabere. Harbour erfährt, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist. Wilbur spürt, dass dieser so gerne leben möchte, der, der dem Tod ins Auge sieht. Augenscheinlich scheint das Leben und die Liebe nun auf einmal für ihn wieder erstrebenswert zu sein. Die sprichwörtliche Nähe zum Leben, aber auch der Balanceakt zur Komik und zur Tragik ist sehr nachvollziehbar dargestellt. Alice (Shirley HENDERSON), in die sich Wilbur verliebt, spielt eine schüchterne Frau mit tiefer Verletzlichkeit, aber auch mit jener Wahrhaftigkeit, die die Momente von Verzweifelung und Unsicherheit als die außerordentliche Dinge im Leben erscheinen lassen, die uns umgeben, und mit denen wir als furchtsame Zuschauer den Plattheiten der normalen Filmkost entfliehen können. Sie steht zwischen beiden Stühlen, will sich entscheiden, kann aber nicht. Erst dort, wo Harbour sich das Leben nimmt, ist ihre Orientierungslosigkeit verflogen. Ihre Läuterung ist die Sympathie für Wilbur.
Anders als in „Grabgeflüster“ (Regie: Nick HURRAN, 2003), wo es doch nur um das private Glück eines biederen Bürgers geht, und wo mit humoristischen Einlagen ein billiger Slapstick-Film abliefert wird, ist „Wilbur WANTS TO KILL HIMSELF” Leben, Liebe und Tod in einem Aufzug. Man erfährt viel über Schicksale, über das Unerwartete und die Provokation. Eine seltsame Schwebe umgibt alle Protagonisten: man ist überwältig und versteht ihre Gefühle.
Auch wenn sich vielleicht letztlich herausstellt, dass diese melancholische Geschichte sich bloß als Komödie tarnt, so ist es das Konzept, ein Schicksal, welches Regie führt: im Leben, im Sterben, in den guten und den schlechten Tagen. Es kommt, wie es kommt. Nur eine paradoxe Überzeugung? |
Diese Kritik ist die Meinung von Dietmar Kesten.