In Hongkong hat John Woo die Stilisierung der Rituale des schießwütigen Actionkinos ins Extrem getrieben. Mit ihm und Regisseuren wie Johnnie To oder Ringo Lam stieß das Hongkong-Kino in nahezu allen Genres an eben jene ästhetischen Grenzen, die es mehr als zehn Jahre lang exzessiv ebenso ausgeweitet wie ausgeweidet hatte. Speziell mit John Woo kehrte der Stil des Samuraifilms zu seinen fernöstlichen Wurzeln zurück, nachdem er von Akira Kurosawa ausgehend nach Amerika gewirkt und dort vor allem das Werk Sam Packinpahs beeinflusst hatte, des Regisseurs, den John Woo nach wie vor als größtes Vorbild angibt. Woos 1985 gedrehter "City Wolf" gilt bis heute als erfolgreichster Martial-Arts-Film aller Zeiten, "The Killer" oder "Bullet in the head" waren Meisterwerke des heroischen, melodramatischen Action-Kinos, und mit dem wahnwitzigen Showdown im inhaltlich wesentlich oberflächlicheren, optisch aber nichtsdestotrotz furiosen "Hard boiled" stellte Woo sogar das legendäre Todesballett im Finale von Peckinpahs "Wild Bunch" in den Schatten. Doch mit der Rückgabe der Kronkolonie an Rotchina wendete sich das Blatt: Die meisten großen Regisseure des Hongkong-Kinos wechselten Mitte der 90er Jahre nach Hollywood, wo sie nacheinander der künstlerischen Bedeutungslosigkeit anheim fielen. Als John Woo 1993 mit dem faden Jean-Claude-van-Damme-Vehikel "Hard Target" seinen ersten auf amerikanischem Boden gedrehten Streifen ablieferte, konnte man noch an ein kommerziell notwendiges Zugeständnis an die Billig-Bedürfnisse westlicher Action-Konsumenten glauben. Der allein auf Hochglanz getrimmte "Broken Arrow" mit Christian Slater und John Travolta ließ dann erste wirkliche Zweifel daran aufkommen, ob der Maestro der künstlerisch wertvoll inszenierten Verwüstung all seinen Können wirklich über den Pazifik habe herüberretten können. Mit dem großartigen "Face Off" hingegen erreichte John Woo beinahe wieder die Intensität seiner Hongkong-Werke.
John Woos neuer Film reiht sich da trotz eines unzweifelhaft vorhandenen Unterhaltungsgehalts nahtlos ein in die Reihe seiner künstlerischen Offenbarungseide. Obwohl "Paycheck" ebenso wie "Blade Runner", "Total Recall" und "Minority Report" auf einer literarischen Vorlage des Meisters des surreal angehauchten Science Fiction Philipp K. Dick beruht, erreicht der Film nicht einmal annäherungsweise die erzählerische Brillianz und psychologische Tiefe dieser visionären Meisterwerke. Und das trotz einer nicht unintelligenten Grundidee: Im Jahr 2007 ist die Entwicklung von High-Tech-Produkten ein einträgliches Geschäft für abgebrühte Ingenieure geworden, die sich wie professionelle Söldner für einzelne Projekte engagieren lassen. Gelingt die Entwicklung einer neuen Technologie oder eines neuen Produkts, so winken astronomische Saläre, verbunden jedoch mit einer kleinen, aber entscheidenden Geschäfts-Modalität: Nach erledigtem Job muss der Auftragnehmer sich die Erinnerung an die gesamte Entwicklungszeit hirnoperativ löschen lassen, um sein hinzugewonnenes Wissen nicht anschließend meistbietend an die Konkurrenz seines Auftraggebers verscherbeln zu können. Michael Jennings (Ben Affleck) ist ein solcher Development-Pofi, der im Auftrag von High-Tech-Riesen des 21. Jahrhundert hermetisch abgeschirmt von der Außenwelt die Technologien konkurrierender Unternehmen ausschlachtet, optimiert und daraus neue Produkte hervorzaubert. Als er jedoch einen über drei Jahre dauernden Mammut-Auftrag seines inzwischen zum Industrie-Tycoon aufgestiegenen Schulfreunds Rethrick (Aaron Eckhart) annimmt, geht eine Menge schief: Zwar sind nach Abschluss des Jobs seine Erinnerungen an die zurückliegenden drei Jahre perdu, genauso aber auch die 92 Millionen Dollar, die ihm zuvor vertraglich zugesichert worden waren. Wie nicht anders zu erwarten glaubt Jennings ebenso wie der Zuschauer zunächst an einen perfiden Wortbruch seines Auftraggebers. Umso entsetzter muss der um sein Geld und seine drei Jahre Lebenszeit geprellte jedoch feststellen, dass er persönlich vor Abschluss der Entwicklungsarbeiten und der Ausradierung aller damit verbundenen Erinnerungen die Annahme der Millionensumme ablehnte und sich selbst stattdessen einen Briefumschlag voller scheinbar völlig belangloser Alltagsgegenstände hinterließ. Im Fadenkreuz neugieriger FBI-Beamter und schießwütiger Schergen des offenkundig ebenfalls mit dem Ausgang des Auftrags vergleichsweise unzufriedenen Rethrick macht sich Jennings auf die Suche nach seiner Vergangenheit und damit nach dem, was er selbst in den ausgelöschten drei Jahren für Rethnick erbaute.
Der einsame Held auf der Flucht, auf sich allein gestellt und gejagt von gleich mehreren widerstreitenden Gruppierungen - um wie vieles großartiger verkörperte Harrison Ford den Menschen als gehetztes Wild in Andrew Davis' hervorragendem "Fugitive". Die verzweifelte Suche nach der verlorenen Erinnerung und das Zusammensetzen der Vergangenheit aus einzelnen Puzzlestücken - Christopher Nolan setzte dieses Motiv bislang unerreicht in "Memento" in Szene. Und das bei Philipp K. Dick so häufig anzutreffende Thema vom Blick in die Zukunft und dessen Auswirkungen auf das Schicksal eines einzelnen Individuums konnte von Steven Spielberg in "Minority Report" mit wirklicher philosophischer Tiefe gefüllt werden - in "Paycheck" hingegen sind all diese Motive nur flüchtige, kaum zueinander kongruente Versatzstücke eines poppig-bunten Unterhaltungs-Fast-Foods. Dabei hat Dicks Geschichte tatsächlich eine Botschaft: "Zeigst Du einem Menschen seine Zukunft, dann hat er keine mehr", lautet die philosophisch verbrämte Quintessenz, die jedoch im Film im Rauschen von Nachmittags-TV-kompatibler Popcorn-Action untergeht.
Ansonsten braucht zu den Darstellern nicht viel angemerkt zu werden. Ben Affleck mag in "Chasing Amy" oder "Good Will Hunting" seine Berechtigung gehabt haben, als Action-Mime ist er schlicht eine Null. Uma Thurman läuft als Loving Interest des adretten Helden wie nicht zu erwarten darstellerisch auf unterster Sparflamme und liefert wohl aus Frust darüber in einigen Szenen eine leicht vergeistigte Performance. Und Colm Feore hat als Handlanger Wolfe des Bösewichts nicht einmal annähernd das Format früherer Schurkenfiguren Woos wie beispielsweise des wunderbaren Philipp Kwok als ritterlicher Yakuza-Killer Mad Dog in "Hard boiled".
In jedem Fall sei "ein richtig guter Film" nötig, um den Ruf John Woos und des Hongkong-Kinos zu retten, schrieb ein Rezensent der "taz" bereits vor sechs Jahren. Doch allein um über die Chancenlosigkeit einer solchen Rehabilitierung nachzudenken, ist dieses luftige Nichts zu kurz. Noch bevor man "straight-to- video" sagen kann, ist der Streifen vorbei, und man fragt sich ganz ernsthaft und grundsätzlich, ob der ganze John-Woo- und Hongkong-Hype nicht doch nur das Ergebnis einer durch chinesische Restaurants verbreiteten Massenhypnose war. |
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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.