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Pans Labyrinth

"Residenz" Bückeburg (14.02.2007)

Kritik von Johannes Pietsch

Der kindlich-naive Drang, einer grausamen, scheinbar unabwendbaren Realität durch die Flucht in eine phantastische Parallelwelt zu begegnen, gehört zu den beliebtesten Topoi des Fantasy-Genres. In Astrid Lindgrens berühmtesten und schönsten Jugendbuch "Die Brüder Löwenherz" winkt der unheilbar kranken Hauptfigur das sagenhafte Nangijala, ein Land "hinter den Sternen", in dem noch "die Zeit der Sagen und der Lagerfeuer" herrsche. Und bei dem großen Tolkien-Konkurrenten und christlich-erzfundamentalistischen Eiferer Clive Staples Lewis fliehen vier Jugendliche aus dem von deutschen Bomben heimgesuchten Großbritannien durch einen Wandschrank in die mythische Welt "Narnia". Die 2005 gedrehte Disney-Verfilmung "Der König von Narnia" geriet indes noch stärker als die ohnehin schon arg religiös verquaste Romanvorlage zur aufwendig inszenierten, aber kaum bewegenden und inhaltlich erstaunlich tauben Nuss.

Diametral entgegengesetzt gegenüber der pompös vergurkten "Narnia"-Adaption wirkt Guillermo del Toros thematisch sehr ähnlich angelegtes Werk "Pan's Labyrinth". Völlig zu Recht wurde das unglaublich berührende, intensive, visuell wie inhaltlich überwältigende Fantasy-Drama des mexikanischen Horror-Spezialisten auf zahlreichen Filmfestivals mit Preisen geradezu überhäuft, dazu in sechs Kategorien für den Oscar nominiert, wovon drei gewonnen wurden. Auf der Internetplattform metacritic.com erreichte der Film eine Bewertung von sagenhaften 98 Prozent und damit Platz vier des All-Time-Highscores.

Regisseur und Drehbuchautor Guillermo del Toro hinterließ mit seinen Filmen bislang einen recht zwiespältigen Eindruck. Optisch fast immer makellos, produzierte er nicht selten inhaltlich puren Nonsens, insbesondere dann, wenn er sich im Blockbuster-Metier versuchte. Schon in seinem Debüt "Cronos" über eine Uhr, die vampirische Fähigkeiten verleiht, zeigte er sich 1993 als Meister einer ausschweifenden, optischen Phantasie. Nachdem er in dem reichlich oberflächlich-plakativen Insekten-Horror "Mimic" von 1997 die ansehnliche Mira Sorvino gegen eine Brut von menschengroßen Kakerlaken in der New Yorker Subway antreten ließ, lieferte er 2001 mit "The Devil's Backbone" sein bis dato bestes Werk über unheimliche Ereignisse in einem Waisenhaus zur Zeit des spanischen Bürgerkriegs ab - aus heutiger Sicht wirkt es wie eine Generalprobe für "Pan's Labyrinth".

Viel Kredit verspielte er hingegen wieder mit dem inhaltlich völlig missratenen "Blade"-Sequel "Blade 2", in dem er 2002 den von Wesley Snipes verkörperten Daywalker zum Halali auf lächerlich aufgemotzte, schleimig-knorpelige Alien-Vampire blasen ließ. Del Toros zweiter Ausflug ins Blockbuster-Genre "Hellboy" mit dem wunderbaren "Name der Rose"-Veteranen Ron Perlman als knorrigem, rotgesichtigen und katzenliebenden Höllen-Renegaten enttäuschte zwar lange nicht so maßlos wie "Blade 2", konnte jedoch auch nicht in allen Disziplinen überzeugen. Das Angebot, den dritten Harry Potter zu inszenieren, lehnte er ab, für ihn drehte der Landsmann Alfonso Cuarón.

"Pan's Labyrinth" wirkt nun so, als habe Guillermo del Toro seine gesamte visuelle Brillanz, seine überbordende Phantasie und sein ganzes optisches Können, all jene phänomenale, düster-ästhetische Opulenz aus seinen vorangegangenen Filmen zusammengenommen und mit einer ebenso phantastischen, tiefgründigen und mitreißenden Geschichte verknüpft. Dabei kehrt der Mexikaner zurück zu seinem Lieblingsthema aus "The Devil's Backbone", dem spanischen Bürgerkrieg.

Spanien im Jahr 1944: Während im übrigen Europa die nationalsozialistischen Gewaltherrschaften unter den militärischen Schlägen der Alliierten zusammenbrechen, halten Spaniens Faschisten seit 1939 die Macht eisern in Händen. Gemeinsam mit ihrer hochschwangeren Mutter Carmen (Ariadna Gil) reist die 12jährige Ofelia (Ivana Baquero) zu ihrem Stiefvater Vidal (Sergi López), einem Offizier des vor fünf Jahren siegreichen Franko-Regimes. Vidal kommandiert eine kleine Einheit Soldaten, die versprengte Reste von republikanischen Partisanen in den Bergen jagen und eliminieren sollen.

Nahe der Mühle, in der Mutter und Tochter untergebracht werden, entdeckt das Mädchen ein uraltes Steinlabyrinth. Mit Ofelias erstem nächtlichen Ausflug in die steinernen Katakomben unter dem Irrgarten öffnet sich das Portal zu einer mystischen Gegenwelt phantastischen Ausmaßes: In dem Gemäuer erscheint ihr der griechische Hirtengott Pan in Gestalt eines zottigen Fabelwesens mit gewaltigen Hörnern, langen, klauenartigen Fingern und abgewinkelten Stelzenbeinen, ein eigentümliches, hochambivalentes und damit so ganz Del-Toro-typische Mischwesen aus liebevoll mitfühlender Naturgottheit und archaischer Bedrohung. Pan eröffnet Ofeila, die Wiedergeburt einer Prinzessin eines verwunschenen, unterirdischen Königreiches zu sein und drei Prüfungen bestehen zu müssen, um dorthin zurückkehren zu können.

Mit diesem Märchenmotiv als Exposition - es ist der klassische Eskapismus aus der Realität in die Fantasie - eröffnet Guillermo del Toro sein Panoptikum gegenweltlicher Schreckszenarien. Denn im Gegensatz zu C.S. Lewis' Narnia ist die mythische Märchenwelt, in die Ofelia bei ihren Prüfungen eindringt, ebenso düster, abgründig und lebensgefährlich wie die mörderische, brutale Wirklichkeit rund um die Mühle und die darin lebenden Menschen. In genialen Bildwechseln verschneidet "Pan's Labyrinth" das blutig-brutale und menschenverachtende Diesseits, in dem sich Franco-Soldaten und republikanische Freischärler gegenseitig jagen, foltern und ermorden, mit einer surrealistischen Alptraumwelt, einem finsteren, gotischen Gegenuniversum, in dem Ofelia auf Insektenschwärme, schleimige Krötenungeheuer ("Mimic" und "Blade 2" standen eindeutig Pate) und weißhäutige, kinderfressende Dämonen trifft. Mit bedeutungsschwangeren Symbolen wie Türschloss und Dolch, Brunnen und Höhle oder der phallischen Riesenzunge eines Ungetüms sind dabei die Sexualmetaphern einer Initiationsgeschichte unübersehbar, die Erinnerungen an Neil Jordans ebenso märchenhaftes wie furchteinflößendes Freud-Märchen "Die Zeit der Wölfe" aufkommen lassen.

Neben dem wunderbaren und völlig zu Recht für den Oscar nominierten Drehbuch aus Del Toros eigener Feder wird der Film vor allem durch die großartigen Darstellerleistungen getragen. Nachwuchsschauspielerin Ivana Baquero überzeugt in der Hauptrolle mit einer faszinierenden Mischung aus kindlicher Unschuld, Ernsthaftigkeit, Verletzlichkeit, Schwermut und großer Tragik. Ihr gegenüber steht als Antagonist der einfach brillante Sergi López als rücksichtsloser und grausamer Capitan Vidal, der mit unglaublicher Brutalität und Rohheit seinen Privatkrieg führt.

Schon die erste Begegnung von Ofelia und Vidal ist weichenstellend für die gesamte Geschichte: Instinktiv erkennen der unbarmherzige Offizier und das stille, verträumte Mädchen im jeweils anderen den Todfeind. Vidal, geprägt von Kadavergehorsam und preußisch-militaristischem Chauvinismus, spürt auf Anhieb die Gefahr, die ihm in Gestalt Ofelias entgegentritt. Es ist die gleiche Bedrohung, die die grauen Herren aus Michael Endes "Momo" in der titelgebenden Hauptfigur - ebenfalls einem kleinen, stillen, verträumten Mädchen - sahen.

Ofelia verkörpert den Glauben an Märchen und Fantasien, an die Hoffnung auf eine bessere Welt jenseits des trostlosen Diesseits. Ihr Stiefvater ist dazu der kontradiktorische Gegenentwurf: Ein Zwangsneurotiker in Reinkultur und das Paradebeispiel einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, eine Bestie in Menschengestalt, erbarmungslos, zynisch und sadistisch, ein Maschinenmensch und Ungeheuer, der wie Shakespeares Richard III. "die Welt nahm, um darin zu hausen". Mit schrankenloser Brutalität wütet er gegen Rebellen und Zivilisten, foltert und tötet mit eigener Hand, wobei dem Zuschauer kaum eine explizite Grausamkeit erspart bleibt, und repariert in seiner Freizeit Taschenuhren - treffender als mit diesem beiläufigen Hobby hätte Guillermo del Toro die zwangsneurotische Komponente dieses Charakters kaum illustrieren können. In der deutschen Fassung des Films wird diese Darstellung auf kongeniale Weise verstärkt durch Synchronsprecher Udo Schenk, der zuvor schon Ray Liotta, Kevin Bacon, Ralph Fiennes und Gary Oldman seine markante Stimme lieh.

Guillermo del Toro inszeniert diesen Vidal als Inkarnation und Essenz des Faschismus. Als eine Messerverletzung sein Gesicht zu einem absurden Grinsen entstellt, wird diese Fratze zum lebendig gewordenen Abbild der ganzen Perversion seiner Gesinnung - eine Hommage an Jack Nicholsons Joker in Tim Burtons "Batman" von 1989. "Gott hat sich um ihre Seelen schon gekümmert", meint ein bigotter Priester beim Abendessen zu Vidal über die Rebellen. "Was aus ihren Körpern wird, dürfte ihn kaum interessieren." Es ist ein verbürgtes Zitat aus dem spanischen Bürgerkrieg. Die wahren Monster, das ist die Botschaft auch in del Toros Hollywoodfilmen "Hellboy" und "Blade II", finden sich unter den Menschen.

Dem tragenden Darstellerduo sekundieren Maribel Verdú als Haushälterin Mercedes, eine beeindruckende Passionara-Gestalt, Álex Angulo als mitfühlender Dorfarzt Ferreiro und Doug Jones, der sowohl den Pan als auch das augenlose, bleiche Ungeheuer verkörpert, von dem Ofelia bei einer ihrer Prüfungen verfolgt wird.

"Pan's Labyrinth" ist ein Meisterwerk an visueller wie emotionaler Stimmung, ein schreckensbleicher, poetischer Bildersturm, eine wehmütige, elegische Phantasmagorie über den Trost der Trauer und die Schönheit des Schreckens, bei der der für seinen eigenwilligen Stil bekannte Regisseur seine gestalterischen Möglichkeiten vollendet unter Beweis stellt. Schlafwandlerisch sicher setzt Del Toro die filmischen Mittel ein, schwingt sich beim Set Design zu wahrer Meisterschaft empor. Überall sind Doppel-, Kontrast- und Spiegelstrukturen zu entdecken, bis in die Farbpaletten von Waldeskälte und Fantasiewelt hinein. Deutlich beeinflusst von der spätmittelalterlichen Fabelwesen- und Bestienmalerei eines Hieronymus Bosch, aber auch den Traumgebilden eines Salvador Dali und Goyas Allegorien auf die Schrecken des Kriegs, entfaltet "Pan's Labyrinth" eine suggestive Alptraumwelt, düster und melancholisch, von bizarrem Barock und schrecklich-schöner Raffinesse. Vielfältige Resonanzen von Handlungen, Motiven und Szenerien ergeben eine ergreifende, tieftraurige Parabel über die Freiheit der Entscheidung, den Tod und den Glauben, über das Ende der Kindheit und über den Weg ins Paradies, der sich wie in Astrid Lindgrens "Die Brüder Löwenherz" erst durch das größte eigene Opfer finden lässt.

Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.

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