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Kino - dafür werden Filme gemacht

Der menschliche Makel

Kritik von Dietmar Kesten

SCHICKSALSTRÄUME

Der Altphilologe Professor Coleman Silk (Anthony HOPKINS), leitet an einem College Seminare zu ‚Athena’, zum Achilles-Mythos. Eine missverständliche Äußerung über abwesende Studenten („dunkle Gestalten“) bringt ihm den Vorwurf des Rassismus ein. Silk legt daraufhin seine Professur nieder. Als er seiner Frau von diesen Vorwürfen erzählt, erleidet sie einen Herzinfarkt und stirbt. Silks Leben, zur Aussichtslosigkeit verurteilt, bekommt eine neue Wendung durch die Freundschaft zu dem Schriftsteller Nathan Zuckerman (Gary SINISE), und Faunia (Nicole KIDMAN), der er begegnet. Silk blüht neu auf und schöpft aus der Freundschaft mit Faunia, die von ihrem Ex-Mann Les (Ed HARRIS) terrorisiert wird, neuen Lebensmut. Damit endet die Spurensuche nicht. Die Tragik um Coleman Silk wird erst später deutlich, als der Film in seine Jugend zurückblendet. Der Professor, der in Wirklichkeit ein hellhäutiger Afroamerikaner ist, verleugnet seine Herkunft, legt sich eine neue Identität zu und heiratet. Seine Vergangenheit unterlegt der Film mit jener Liebesgeschichte, die ins Heute projiziert wird.

Im Reich der Wünsche, im innersten Traum der Ruine, soll jeder bekommen, wovon der träumt. Hier kommt niemand an, niemand betritt das eigene Zimmer, in dem das Kino zu Ende wäre. Manchmal ist es jenes Bilderlose, vor dem die Bilder kapitulieren müssten. Doch wenn sie sich verwandeln, sich mit Ereignissen aus der Vergangenheit und der Gegenwart beschäftigen, die bitter und tröstlich sein können, dann begegnet man der Wirklichkeit des Lebens. Was quält einen Menschen mehr: ist es der Makel, den jeder sieht, die Schwäche, oder oftmals die Doppelbödigkeit der Moralität?

„Der menschliche Makel“ (nach dem gleichnamigen Roman von Philip ROTH), ist die Geschichte vom Entkommen und Ankommen, von der Vergangenheit, von Davongelaufenen und Suchenden. Das ist ein schmaler Pfad, weil so Klischees entstehen, die an den Rändern des Kulturbetriebes wabern. Aber es ist auch einfaches Glück im Kino: das Wiedererkennen seines eigenen Lebens, die die Bilder widerspiegeln. Bilder reden von Erlösung. Sie heben die Unterschiede und Grenzen auf. Manche Bilder sind Erinnerungen, Impulse der Erneuerung, Phantasie und ästhetische Setzung. Damit die Routine nicht tödlich wird, wird sie vom Auge des Träumers im Traum erdrückt. Walter BENJAMIN würde dazu vielleicht sagen, dass „hier die geschlossene Endlichkeit eines profanen Schicksalstraumes“ beginnt. In der Tat ist jede Geschichte, die sich um Vorurteile dreht, um Bestimmung, Besessenheit, soziale Grenzen, um Blasen des Glücks, um Schicksale, um Zynismus, Unschuld und Sentimentalitäten, die sich an der Außenwelt stoßen, ein ewiger Kampf zwischen Gewinnern und Verlierern.

‚Opfer’ sind meistens diejenigen, die in der Phantasie das Bilderlose zu bebildern wissen, und die mit ihrer ästhetischen Anstrengung die Geschichten zwischen Wahrscheinlichkeit, der Absurdität und der Unglaublichkeit real erscheinen lassen. „One Hour Photo“ mit Robin WILLIAMS (Regie: Mark ROMANEK, 2003), diese geniale Fiktion der Wiederkehr, die das Spiegelbild im Glasrahmen einmal in die Hölle und einmal in ein Paradies verwandelt, findet seine Entsprechung im „Menschlichen Makel“, in der Sehnsucht nach dem zeitlosen Augenblick und dem der Träume.

Der Film, der beständig zwischen den vergangenen und aktuellen Ereignissen springt, operiert mit Bildern, die für den Hauptdarsteller nahezu geschaffen scheinen. Wenn am Anfang und am Ende des Films die verschneite Landschaft auftaucht, die schwarz-weiß Idylle, durch die Silk mit Faunia fährt, um am Ende zu Tode zu kommen, dann lässt Regisseur Robert BENTON („Kramer gegen Kramer“, 1978, „Im Zwielicht“, 1998) die besten Bilder zurück. Am Anfang war nicht das Wort, am Anfang war das Bild! Und da es von HOPKINS lebt, vergisst man schnell die Ratlosigkeit, die im Plot übrig bleibt. Die Strukturen des Streifens sind schematisch aneinandergereiht, vorhersehbar, Dekoration und Kostümierung. Dramatik und Dynamik der Rückblenden gehen in der zarten, bisweilen sogar sehr bitteren Romantik unter. Das ist ärgerlich.

Ein Mann beherrscht aber die Szenerie. Wie ein Film von einer grandiosen Figur lebt und atmen kann, sieht man im „Menschlichen Makel“. Einen Augenblick lang vergisst man Nicole KIDMAN, weil sie „Dogville“ kaum noch überbieten kann. Für den Film ist sie eigentlich hinderlich, zu klinisch, durchschaubar, steril. Die Putzfrau nimmt man ihr leider nicht ab. Man konzentriert sich voll auf Silk. Der tragikkomische Traum eines Mannes, der im Rentenalter die Liebe zu einer jungen Frau erfährt, ist ein Tagtraum, der sich über die Figur und den Begierden in der Obsession niederschlägt, in den Gefühlen, den Schmerzen und den erotischen Freuden.

Manche Filme leben nur von ihren Darstellern. Diesen Standpunkt kann man für ‚unfilmisch’ halten, weil sie keine Aussagen enthalten. Wenn dem so wäre, dann dürfte es keine Filme mehr geben. Ein guter Film ist der, der Bilder illustrieren kann, der sich am schönen Schein seiner Bilder klammert. Wenn das Konzept in Ratlosigkeit umschlägt, ist das hybride Filmgewächs zu einem Bilderrätsel entartet. Tausende bunte Bilder waren in „One Hour Photo“ das Rätsel. Die intimen Momente von HOPKINS, der in „Was vom Tage übrig blieb“ (Regie: James IVORY, 1993) und „Nixon“ (Regie: Oliver STONE, 1995) vielleicht seine besten Rollen spielte, erreichen erneut einen sehbaren Höhepunkt. Seine Sensibilität, seine Tränenrührigkeit, die intime Psychologie mit den wunderschönen Einstellungen ist kaum kitschig und abgegriffen, sondern ehrlich und sehr nachvollziehbar dargestellt. Er bricht einem fast das Herz.

Fazit: Zwar wird heute jeder Kinosaal ein Fenster zum Hof, jede Einstellung ein gelüftetes Geheimnis. Wenn die Darsteller Anthony HOPKINS heißen, dann geht man aus einem anderen Grunde ins Kino: man entdeckt sich selbst, die eigenen Wünsche bleiben nicht mehr Vergangenheit.


Diese Kritik ist die Meinung von Dietmar Kesten.

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