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Kino - dafür werden Filme gemacht

Im Bann des Jade Scorpions

"Residenz" Bückeburg (28.11.2001)

Kritik von Johannes Pietsch

Ein neuer Woody-Allen-Film ist dann fällig, so spottete einmal der "New Yorker", "wenn die Milch, die man kaufte, als der letzte anlief, im Kühlschrank sauer wird". Das Produktionstempo und Allens seit Jahrzehnten gleich bleibender Rhythmus sind in der Tat erstaunlich und nur damit zu erklären, dass dem sechsundsechzigjährigen Regisseur neben einem unerschöpflichen Arbeitsdrang eine ebensolche Routine zur Verfügung steht. Aus dieser ist zwar schon seit langem kein wirkliches Meisterwerk mehr entstanden, doch auch nur gelegentlich ein Reinfall.

Woody Allens Filmschaffen war vielmehr in den letzten Jahren von einem steten Auf und Ab in geringer Amplitudenhöhen geprägt. Nach dem schwachen "Mighty Aphrodity" und dem zwiespältigen "Celebrity" zeigte insbesondere sein letzter Film "Schmalspurganoven" einen quicklebendigen und vor Witz nur so sprühenden Woody Allen. Mit dem Nachfolger "Im Banne des Jade-Skorpions" setzt der immer zeitlosere Neurosenspezialist noch einen drauf und präsentiert uns eine wunderschön komponierte und absolut authentisch ausgestattete Zeitreise in seine Lieblingsepoche, die 40er Jahre.

Dort, in seiner Lieblingsstadt New York, hat Woody Allen den Plot dieser wie für seine Erzählkunst so typisch skurrilen und hintergründigen Gangster-Komödie angesiedelt. Dort lebt und arbeitet seine Hauptfigur C.W. Briggs, ein gleichsam fusseliger wie durchtriebener und ausgefuchster Versicherungsdetektiv, der in dem Großraumbüro seines Arbeitgebers, einer New Yorker Versicherungsgesellschaft, den Ruf des notorischen Frauenhelden genießt.

Für viele ist Allen stets der jüdische Skeptiker und neurotische Pechvogel geblieben, den er in "Play It Again, Sam", "Annie Hall" und "Manhattan" so virtuos zusammenstotterte. Und jetzt Woody Allen als Schürzenjäger, ausgerechnet er? Selten dürfte der bekennende Stadtneurotiker sein Paradeimage als kleiner, verschusselter Looser und die inzwischen unübersehbaren Spuren seines Alters so virtuos und selbstironisch eingesetzt haben. Wenn Allen mit fahrigen Bewegungen durch das Versicherungsbüro seines filmischen Arbeitgebers fuhrwerkt und an jedem Rockzipfel eine blendend aussehende Verehrerin hängen hat, die ihn für die jüngste Lösung eines kniffligen Bilderdiebstahls anhimmelt, dann hören wir sogar Humphrey Bogart lachen. Denn der Kontrast zwischen dem Anspruch eines erfolgreichen, ausgebufften Versicherungsdetektivs im Stil der Noir-Welle mit genauso vielen Groopies wie gelösten Fällen, den dieser C.W. Briggs nach den Vorgaben des Drehbuches darstellen soll, und der Figur mit der traurigen Gestalt und dem nervösen Gefuchtel, die wir stattdessen auf der Leinwand zu sehen bekommen, könnte kaum größer sein.

Und wenn die Kamera in den ersten Augenblicken des Films aus der Vogelperspektive auf die (deutlich als solche erkennbaren) Kulissen der Büroszenerie herabfährt und wie teilnahmslos das geschäftige Treiben darin verfolgt, untermalt von einem hinreißenden Jazz-Soundtrack, dann fühlen wir uns unwillkürlich wie von Flügeln getragen in die Ära der großen Screwball- und Noir-Klassiker von Regisseuren wie George Cukor, Howard Hawks, Billy Wilder oder Frank Capra.

Und mit der gleichen Leichtigkeit erzählt Allen seinen Plot: Die Geschichte vom Versicherungsdetektiv Briggs, der mit seiner jungen und äußerst adretten Kollegin Betty Ann Fitzgerald (Helen Hunt) aneinander rasselt, da sie sein selbstsüchtiges und eigenmächtiges Gehabe nicht mitspielt, mit ihr zusammen von einem mysteriösen Varieté-Magier hypnotisiert und anschließend als fremdgesteuertes gemischtes Diebes-Doppel missbraucht wird, was zwangsläufig irrsinnigerweise dazu führt, dass C.W. Briggs seine eigenen Verbrechen aufzuklären hat und einer Kaskade herrlicher Situationskomik und Slapstick-Einfälle Raum bietet. Ein bisschen Krimi, ein bisschen Fantasy und ganz viel authentischer 40-Jahre-Flair, und Woody Allen gelingt eine nostalgische Grazie, wie wir sie seit "Manhattan Murder Mysterie" nicht mehr erlebten. "Im Banne des Jade-Skorpions" ist eine wundervolle Hommage an den Film Noir, an die Klassiker und zugleich - wie schon so oft - an Woody Allens Lieblingsmetropole Manhattan.

Es sind vor allem die Dialoge, die Woody Allens jüngsten Film zum Genuss werden lassen. Schon die "Schmalspurganoven" lebten schon lange nicht mehr von Allens Komik allein, sondern von vor allem von dem Zusammenspiel mit der urkomischen Tracey Ullman als dusseliger Keksverkäuferin. Im "Jade-Skorpion" peitschen sich Allen und die genial besetzte Helen Hunt gegenseitig zu Höhepunkten des knallenden Dialogwitzes auf. "Sie haben das Aussehen einer Ameise" - "Ich bin smarter als sie, ich bin schneller als Sie, ich bin stärker als sie, ich kann verstehen, dass Sie Angst vor mir haben", gibt C.W. Briggs seiner verhassten Kollegen Fitzgerald unmissverständlich auf den Weg, als ein beiderseitiger Vermittlungsversuch in einer schmierigen Bar gerade gescheitert ist. Das Quartett ergänzen der langsam zu früherem komödiantischen Können zurückfindende Dan Akroyd als großkotziger Versicherungs-Boss mit Eheproblemen und Charlize Theron als berückende Lauren-Bacall-Wiedergeburt in Tete-a-tete-Laune mit dem doppelt so alten Briggs. Dabei lässt Allen, dieser Meister der Sophisticated Comedy, kaum eine Gelegenheit aus, das eigene Alter und die eigene Unattraktivität sarkastisch überspitzt aufs Korn zu nehmen: "Sie sind zu alt und zu klein für mich." "Sie haben das Beste vergessen: Ich verliere meine Haare."

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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.

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