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Kino - dafür werden Filme gemacht

Hulk

Gesehen am 26.06.2003 im Cinemaxx Hannover (Presse-Premiere, OV)

Kritik von Johannes Pietsch

Es war zumindestens ein höflicher Räuber, der im Mai vergangenen Jahres ein New Yorker Buchgeschäft überfiel: "Es tut mir leid, aber ich sehe keine andere Möglichkeit, mir diese Ausgaben zu beschaffen", sprach der literarisch interessierte Kleinkriminelle mit vorgehaltener Waffe und zog mit einem Stapel preislich hochwertiger Comic-Hefte von dannen - darunter eine Originalausgabe von "Spider-Man" aus dem Jahr 1962. Keine Frage: Comics stehen im Amerika der zweiten Bush-Ära so hoch im Kurs wie schon lange nicht mehr, was sich nicht nur in den Umsätzen der gezeichneten Werke selbst niederschlägt, sondern auch in der Ausrichtung Hollywoods auf immer mehr Comicstoffe. Sam Raimis Spinnenmann-Verfilmung "Spider-Man" spielte im vergangenen Jahr an den ersten drei Spieltagen das Rekordergebnis von satten 114 Millionen Dollar ein - mehr als je ein Film zuvor.

Dabei rollt zur Zeit bereits die dritte große Welle von Comicverfilmungen der jüngeren Kinogeschichte über die Leinwände. Und die wird eindeutig beherrscht von den Helden aus der Comicschmiede Marvel und der Ideenwerkstatt von Stan Lee, dem kultisch verehrten, inzwischen über 80jährigen Comic-Altmeister, der das Genre in den 60er Jahren mit Figuren wie den Fantastic Four, Spiderman, Dr. Strange, den Hulk, Silver-Surfer und - natürlich - den X-Men revolutionierte.

In den späten 70ern bis in die 90er waren es noch die Figuren des Branchen-Primus Detective Comics (DC) , zunächst Superman und dann ab 1989 Batman, die die Leinwand dominierten. 1990 zeigten vier grüne Gummi-Kriechtiere, wie man den amerikanischen Traum richtig träumt: Die Comic- und Zeichentrickserie "Teenage Mutant Ninja Turtels" wurde für nur zwölf Millionen Dollar verfilmt und spielte mehr als 250 Millionen Dollar Gewinn ein. Nach dem Ausklingen des Batman-Hypes setzte sich der Comic-Boom im Hollywood-Kino unter anderem mit "Spawn", "Blade" und "Men in Black" fort. Selbst ein so komplexes Werk wie das Jack-the-Ripper-Epos "From Hell" von Eddie Campbell und Alan Moore fand durch Albert und Allen Hughes eine adäquate Umsetzung auf der Leinwand.

Im neuen Jahrtausend nun gehört die Leinwand Marvel: 2000 und 2003 waren es die X-Men unter der Regie von Bryan Singer, die als Helden einer ambitionierten Realverfilmung ihrem Schöpfer Stan Lee, dem Ralph Siegel der Comicbranche, die Ehre erwiesen. Sam Raimis "Spider-Man" stellte 2002 sicherlich einen wenn nicht gar den Höhepunkt schlechthin der Comicadaptionen dar, während allerdings der kurz darauf gestartete "Daredevil" weit hinter den Erwartungen zurück blieb. Nun folgt, nur ein Jahr nach "Spider-Man" und wenige Monate nach "Daredevil" und "X-Men 2" die nächste Big-Budget-Produktion, die einen Marvel-Helden auf der Leinwand zum Leben erweckt. Das ehrgeizige Projekt "Hulk" geriet, vor allem durch die Arbeit von Regisseur Ang Lee, ebenso wie die beiden "X-Men"-Verfilmungen zu einer sehr aufrichtigen, leidenschaftlichen, stellenweise geradezu mit dem Hauch einer griechischen Tragödie umflorten Adaption, der es allerdings nicht in letzter Konsequenz gelingt, die erzählerische Tiefe der Handlung mit dem Special-Effects-Aufwand der spektakulär inszenierten Action-Sequenzen und der komplett CGI-animierten Hauptigur in Einklang zu bringen.

Im Hollywoodgeschäft scheint es schon länger Usus zu sein, für großformatige Comicverfilmungen Regisseure zu verpflichten, die sich zuvor durch besonders kunstfertige, avantgardistische oder künstlerisch ausgefallene Arbeiten auszeichneten. 1989 holte man für "Batman" den Gothic-Zauberer Tim Burton, der jedoch schon nach zwei Filmen seinen Independant-Drang mit dem Franchise des Rächers von Gotham nicht mehr in Einklang zu verbringen mochte. Für die "X-Men" wurde Bryan Singer, Regisseur des durchtrieben-feinsinnigen Thrillers "The usual suspects" verpflichtet, im Falle von "Spider-Man" war es der "Evil Dead"-Schöpfer Sam Raimi.

Die Wahl von Ang Lee als Regisseur für "Hulk" stellte für das Team der Produzenten fraglos eine ungewöhnlich innovative, aber durchaus in diese Serie passende Entscheidung dar. Der Taiwanese bewies sich bislang in einer Vielzahl von Genres als wegweisender Filmemacher, sei es in der Jane-Austen-Verfilmung "Sense and sensibility", dem Familien-Drama "The ice storm" oder dem kompromisslos depressiven Sezzessionskriegs-Western "Ride with the devil". Seinen künstlerisch größten Erfolg errang er zweifellos mit dem Oscar-prämierten Meisterwerk "Wo hu cang long" ("Crouching Tiger Hidden Dragon"), mit dem er sich 2001 den Schwertkämpfer-Mythen seiner chinesischen Heimat zuwandte und seinem Landsmann King Hu, dem großartigen Altmeister des artifiziellen Schwertkämpferfilms, ein Denkmal setzte.

Mit "Hulk" beweist Ang Lee erneut sein Talent, sich mit einem Thema künstlerisch intensiv auseinandersetzen und mit originellen Ideen zu filmischem Leben erwecken zu können, ohne dabei auf abgenutzte visuelle und erzählerische Versatzstücke vorangegangener Werke zurückgreifen zu müssen. Sein großes Faible für die chinesische Filmkunst ist dem Taiwanesen diesmal kaum anzumerken, vielmehr hofiert Ang Lee mit "Hulk" neben der gezeichneten Vorlage aus dem Hause Marvel vor allem das klassische amerikanische Monsterkino.

Neben ihrer Profession, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen, ist den Comicfiguren Stan Lees vor allem eines gemein: das mysteriöse Zusammenspiel seltsamer bis tragischer Zufälle, aus dem - quasi als Nebenprodukt - eine übernatürliche Befähigung entsteht. So färbt nach einem Strahlenunfall Wut den mutierten Hulk grün und gibt ihm titanische Kräfte, ein Spinnenbiss verwandelt den harmlosen Teenager Peter Parker in Spider-Man, ein schrecklicher Unfall mit einem chemischen Giftstoff kreiert den blinden, aber dafür akustisch unendlich sensibilisierten Daredevil. Als Ausgangspunkt für ein filmisches Drama sind diese Figuren daher dankbarere Charaktere als der eher eindimensionale Kollegen Superman, der von Geburt an zum reinen Sympathieträger erkoren ist. Lees Charaktere lassen sich durch ihre innere Zerrissenheit, gepaart mit dem Drang, Gutes zu tun, wunderbar für konfliktreiche Geschichten einspannen. Im Falle von "Spider-Man" ist das dank des Darstellers Tobey Maguire und eines nuancierten Drehbuches nahezu perfekt gelungen.

Und auch Ang Lee und sein Drehbuchautor James Schamus gestalteten die Geschichte um die Herkunft des Hulk erzählerisch komplex, psychologisch tiefgründig und außerdem dramaturgisch vielschichtiger als die gezeichnete Vorlage: Traf den Wissenschaftler Bruce Banner im Comic des Jahres 1962 nur eine Überdosis Gamma-Strahlen, die ihn anschließend zum heldenhaften, grünen Berserker mutieren ließen, so ist dem Helden bei Ang Lee die Metamorphose zum Hulk in die Wiege gelegt: Sein Vater David Banner nahm in den 60er Jahren genetische Experimente an sich selbst vor, deren Auswirkungen er - ohne es zu wollen - auf seinen Sohn Bruce übertrug. Als das Militär seine nicht genehmigten Versuche entdeckte, kam es zur ökologischen wie familiären Katastrophe: Nach einer furchtbaren Explosion blieb Bruce als traumatisiertes Waisenkind zurück - mit dem genetischen Code eines grünen Monsters in seinen Zellen. Nebenbei: Der Vorname David des Vaters ist eine nette Reminiszenz an den von Bill Bixby gespielten Hulk aus den TV-Verfilmungen in den 70ern, der damals David und nicht Bruce hieß. Lou Ferrigno, der damalige Darsteller von David Banners grünem Alter Ego, ist ebenso wie "Hulk"-Schöpfer Stan Lee in Ang Lees Verfilmung kurz als Sicherheitswache zu sehen.

Rund 30 Jahre später führt Bruce Banner ein zurückgezogenes Leben als brillianter, aber charakterlich schwieriger, emotional gehemmter und introvertierter Wissenschaftler, der sich ganz seinen Forschungen verschrieben hat. Dass diese sich um die gleiche Thematik drehen wie die seines Vaters, ist nur eine von vielen parallelen Handlungssträngen, mit denen Ang Lee in seiner Geschichte immer wieder die Vergangenheit mit der Gegenwart verschränkt. Auch Bruce Banners ehemalige Lebensgefährtin Betty Ross, Tochter eines hochdekorierten Armeegenerals, der zufälligerweise dreißig Jahre zuvor David Banners Chef war, leidet schwer an einer Traumatisierung, die sie im Kindesalter erlitt. Ein klein wenig zu plakativ und pathetisch trägt Ang Lee hier seinen Siegmund Freud und seinen C.G. Jung zu Markte, wenn der Zuschauer erfährt, dass beide auf Grund ein und desselben Ereignisses mit einem schweren Vaterkomplex beladen durchs Leben ziehen.

Nach einem schweren Strahlenunfall in seinem Laboratorium regt sich das genetische Erbe in Bruce Banner, und er mutiert zum grünen Titanen, der in Windeseile das Labor sowie zahlreiche angrenzende Gebäude, Fahrzeuge und Straßenzüge zerlegt und sich einen erbitterten Kampf mit der herbeigeeilten Militärstreitmacht von General Ross liefert. Ab hier lässt Ang Lee zeitweilig die Tiefenpsychologie Tiefenpsychologie sein und konzentriert sich ganz auf die Inszenierung seines grünen Ungetüms, mit der er in zahlreichen Reminiszenzen dem klassischen amerikanischen Monster-Movie huldigt. Bruce Banners Verwandlung erinnert an die motivlich ähnlich gelagerten Klassiker Jack Arnolds, bei dem häufiger Wissenschaftler unliebsame Verwandlungen am eigenen Körper durchmachten. Die anrührende Szene, in der der Hulk vorsichtig, beinahe schüchtern zwischen einigen Bäumen hervortritt, sich Betty nähert und sie behutsam mit den Händen aufhebt, zitiert Schoedsacks "King Kong" in Reinstform, ebenso der darauf folgende Kampf des Giganten mit einigen ebenso unnatürlich großgewachsenen und äußerst aggressiven Riesenhunden, um Betty zu schützen.

Ang Lee hält es nicht wie andere Comic-Regisseure mit der Genre-üblichen Steigerung der Handlung in einen finalen Action-Höhepunkt. Zwar lässt er das aufgestaute Konfliktpotential zwischen dem Hulk und seinen Widersachern sich in einem großen, tricktechnisch aufwendig animierten Action-Feuerwerk vor einer Wüstenkulisse (wobei sich der Taiwanese mit der Unterlegenheit der hochtechnisierten amerikanischen Militärmaschinerie gegen die urwüchsige Kraft des Hulk einige sarkastische Seitenhiebe auf die Wüstenkrieggelüste des derzeitigen amerikanischen Polit-Establishments nicht verkneifen konnte) sowie dem urbanen Monstertrainingsgelände San Franzisko entladen. Doch unterbricht er auch diese Sequenzen immer wieder durch ruhige, teilweise geradezu kontemplative Landschaftsszenerien und surreale Traumgemälde, die ein ums andere mal die traumatische Vergangenheit Banners als Wurzel der aktuellen Geschehnisse reflektieren.

Den emotionalen Höhepunkt findet Ang Lees "Hulk" in der finalen Konfrontation zwischen Bruce und seinem totgeglaubten Vater, in einer kargen, minimalistisch ausgeleuchteten Umgebung, die wie eine Bühne wirkt und dem Geschehen umso stärker den Charakter eines Shakespeareschen Königsdramas verleiht. Das für eine Comicadaption untypische, surreal geratene Finale unterstreicht ebenso Ang Lees künstlerisches Autarkiestreben, auch wenn es - wie kaum anders zu erwarten - mit der Schlusssequenz genügend Spielraum für eine Fortsetzung eröffnet.

Darstellerisch stellt der junge, unverbrauchte Eric Bana für die nicht einfache Antihelden-Figur des Bruce Banner geradezu Idealbesetzung dar. Auch die übrigen Darsteller absolvieren gute bis großartiges Leistungen: Die wie immer bezaubernde Jennifer Connelly braucht nur unwesentlich ihren "The beauty and the biest"-Part aus "A beautiful mind", für den sie zu Recht mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, zu variieren, so ähnlich sind die Rollen der Betty Ross und der Ehefrau des Mathematik-Genies John Forbes Nash angelegt. Altstar Nick Nolte als Banners derangierter Vater David und diametral dazu Hollywood-Schlachtross Sam Elliott als Bettys Vater General Ross liefern sich ein hochkarätiges Darstellerduell zweier versierter Charakterdarsteller. Auffällig ist, dass Ang Lee mit Ausnahme des intriganten Jungwissenschaftlers Talbot (komplett gegen den Strich besetzt: Josh Lucas, der Sympathie-Träger aus "Sweet Home Alabama") keine der handelnden Figuren als wirkliche Schurkenrollen, sondern ausnahmslos als große, tragische, vom Zwang der Umstände in ihr Handeln gezwungene Personen konzipiert, noch viel stärker, als dies Sam Raimi mit Willem Dafoe als Green Goblin in "Spider-Man" gelang.

Als markantes visuelles Werkzeug verwendet Ang Lee in "Hulk" an zahlreichen Stellen Split-Screens, ein Stilmittel, welches häufig eingesetzt wird, um die innere Zerrissenheit oder Vielschichtigkeit eines Charakters bildlich zu illustrieren und welches beispielsweise der dissoziativen Persönlichkeit der Hauptfigur in Paul McGuigans "Gangster No. 1" ostentativ Ausdruck verlieh. Auch Bruce Banner ist eine solche gespaltene Figur, aus dessen Alter Ego, dem titanischen Hulk, allerdings nicht wie in Robert Louis Stevensons archetypischer Vorlage "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" die bislang im Zaum gehaltenen, atavistisch-bösen, sexuellen und aggressiven Urtriebe hervorbrechen, sondern in dem sich der heilige, gerechte Zorn einer lange gequälten und unterdrückten Seele manifestiert.

Allerdings hat Ang Lees "Hulk" eine markante Schwachstelle, durch welche dem Film letztendlich die Höchstnote wie bei "Spider-Man" verwehrt bleiben muss, und das ist der Hulk selbst. Zugegeben, die Tricktechniker von ILM haben bei der Kreation des grünen Giganten Höchstleistungen vollbracht, und seine kilometerweiten Sprünge über Wüsten, Gebirge und die Golden Gate Bridge sowie seine Kämpfe mit Panzern, Hubschraubern und Kampfjets sind (mit Ausnahme des wirklich ärgerlichen Kampfes mit den Riesenhunden) fast schwereloses, anmutiges Action-Ballett. Doch der Hulk bleibt visuell, bei aller effekttechnischen Brillianz, vor dem Hintergrund einer Realverfilmung ein Fremdkörper, der sich - ganz anders als Peter Jacksons grandioser Gollum - weder in seiner Optik und vor allem nicht in seinen Bewegungsabläufen in die Umgebung integrieren lassen will. Vor allem der springende und rennende Hulk lässt fast zwangsläufig Assoziationen zu Jeffrey Katzenbergs "Shrek" aufkommen - und die wollen nun einmal so gar nicht zu dem ernsthaften, getragenen Grundcharakter von Ang Lees Film passen!

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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.

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