Dabei rollt zur Zeit bereits die dritte große Welle von Comicverfilmungen der jüngeren Kinogeschichte über die Leinwände. Und die wird eindeutig beherrscht von den Helden aus der Comicschmiede Marvel und der Ideenwerkstatt von Stan Lee, dem kultisch verehrten, inzwischen über 80jährigen Comic-Altmeister, der das Genre in den 60er Jahren mit Figuren wie den Fantastic Four, Spiderman, Dr. Strange, den Hulk, Silver-Surfer und - natürlich - den X-Men revolutionierte. In den späten 70ern bis in die 90er waren es noch die Figuren des Branchen-Primus Detective Comics (DC) , zunächst Superman und dann ab 1989 Batman, die die Leinwand dominierten. 1990 zeigten vier grüne Gummi-Kriechtiere, wie man den amerikanischen Traum richtig träumt: Die Comic- und Zeichentrickserie "Teenage Mutant Ninja Turtels" wurde für nur zwölf Millionen Dollar verfilmt und spielte mehr als 250 Millionen Dollar Gewinn ein. Nach dem Ausklingen des Batman-Hypes setzte sich der Comic-Boom im Hollywood-Kino unter anderem mit "Spawn", "Blade" und "Men in Black" fort. Selbst ein so komplexes Werk wie das Jack-the-Ripper-Epos "From Hell" von Eddie Campbell und Alan Moore fand durch Albert und Allen Hughes eine adäquate Umsetzung auf der Leinwand.
Im Hollywoodgeschäft scheint es schon länger Usus zu sein, für großformatige Comicverfilmungen Regisseure zu verpflichten, die sich zuvor durch besonders kunstfertige, avantgardistische oder künstlerisch ausgefallene Arbeiten auszeichneten. 1989 holte man für "Batman" den Gothic-Zauberer Tim Burton, der jedoch schon nach zwei Filmen seinen Independant-Drang mit dem Franchise des Rächers von Gotham nicht mehr in Einklang zu verbringen mochte. Für die "X-Men" wurde Bryan Singer, Regisseur des durchtrieben-feinsinnigen Thrillers "The usual suspects" verpflichtet, im Falle von "Spider-Man" war es der "Evil Dead"-Schöpfer Sam Raimi.
Mit "Hulk" beweist Ang Lee erneut sein Talent, sich mit einem Thema künstlerisch intensiv auseinandersetzen und mit originellen Ideen zu filmischem Leben erwecken zu können, ohne dabei auf abgenutzte visuelle und erzählerische Versatzstücke vorangegangener Werke zurückgreifen zu müssen. Sein großes Faible für die chinesische Filmkunst ist dem Taiwanesen diesmal kaum anzumerken, vielmehr hofiert Ang Lee mit "Hulk" neben der gezeichneten Vorlage aus dem Hause Marvel vor allem das klassische amerikanische Monsterkino.
Und auch Ang Lee und sein Drehbuchautor James Schamus gestalteten die Geschichte um die Herkunft des Hulk erzählerisch komplex, psychologisch tiefgründig und außerdem dramaturgisch vielschichtiger als die gezeichnete Vorlage: Traf den Wissenschaftler Bruce Banner im Comic des Jahres 1962 nur eine Überdosis Gamma-Strahlen, die ihn anschließend zum heldenhaften, grünen Berserker mutieren ließen, so ist dem Helden bei Ang Lee die Metamorphose zum Hulk in die Wiege gelegt: Sein Vater David Banner nahm in den 60er Jahren genetische Experimente an sich selbst vor, deren Auswirkungen er - ohne es zu wollen - auf seinen Sohn Bruce übertrug. Als das Militär seine nicht genehmigten Versuche entdeckte, kam es zur ökologischen wie familiären Katastrophe: Nach einer furchtbaren Explosion blieb Bruce als traumatisiertes Waisenkind zurück - mit dem genetischen Code eines grünen Monsters in seinen Zellen. Nebenbei: Der Vorname David des Vaters ist eine nette Reminiszenz an den von Bill Bixby gespielten Hulk aus den TV-Verfilmungen in den 70ern, der damals David und nicht Bruce hieß. Lou Ferrigno, der damalige Darsteller von David Banners grünem Alter Ego, ist ebenso wie "Hulk"-Schöpfer Stan Lee in Ang Lees Verfilmung kurz als Sicherheitswache zu sehen.
Nach einem schweren Strahlenunfall in seinem Laboratorium regt sich das genetische Erbe in Bruce Banner, und er mutiert zum grünen Titanen, der in Windeseile das Labor sowie zahlreiche angrenzende Gebäude, Fahrzeuge und Straßenzüge zerlegt und sich einen erbitterten Kampf mit der herbeigeeilten Militärstreitmacht von General Ross liefert. Ab hier lässt Ang Lee zeitweilig die Tiefenpsychologie Tiefenpsychologie sein und konzentriert sich ganz auf die Inszenierung seines grünen Ungetüms, mit der er in zahlreichen Reminiszenzen dem klassischen amerikanischen Monster-Movie huldigt. Bruce Banners Verwandlung erinnert an die motivlich ähnlich gelagerten Klassiker Jack Arnolds, bei dem häufiger Wissenschaftler unliebsame Verwandlungen am eigenen Körper durchmachten. Die anrührende Szene, in der der Hulk vorsichtig, beinahe schüchtern zwischen einigen Bäumen hervortritt, sich Betty nähert und sie behutsam mit den Händen aufhebt, zitiert Schoedsacks "King Kong" in Reinstform, ebenso der darauf folgende Kampf des Giganten mit einigen ebenso unnatürlich großgewachsenen und äußerst aggressiven Riesenhunden, um Betty zu schützen. Ang Lee hält es nicht wie andere Comic-Regisseure mit der Genre-üblichen Steigerung der Handlung in einen finalen Action-Höhepunkt. Zwar lässt er das aufgestaute Konfliktpotential zwischen dem Hulk und seinen Widersachern sich in einem großen, tricktechnisch aufwendig animierten Action-Feuerwerk vor einer Wüstenkulisse (wobei sich der Taiwanese mit der Unterlegenheit der hochtechnisierten amerikanischen Militärmaschinerie gegen die urwüchsige Kraft des Hulk einige sarkastische Seitenhiebe auf die Wüstenkrieggelüste des derzeitigen amerikanischen Polit-Establishments nicht verkneifen konnte) sowie dem urbanen Monstertrainingsgelände San Franzisko entladen. Doch unterbricht er auch diese Sequenzen immer wieder durch ruhige, teilweise geradezu kontemplative Landschaftsszenerien und surreale Traumgemälde, die ein ums andere mal die traumatische Vergangenheit Banners als Wurzel der aktuellen Geschehnisse reflektieren. Den emotionalen Höhepunkt findet Ang Lees "Hulk" in der finalen Konfrontation zwischen Bruce und seinem totgeglaubten Vater, in einer kargen, minimalistisch ausgeleuchteten Umgebung, die wie eine Bühne wirkt und dem Geschehen umso stärker den Charakter eines Shakespeareschen Königsdramas verleiht. Das für eine Comicadaption untypische, surreal geratene Finale unterstreicht ebenso Ang Lees künstlerisches Autarkiestreben, auch wenn es - wie kaum anders zu erwarten - mit der Schlusssequenz genügend Spielraum für eine Fortsetzung eröffnet.
Als markantes visuelles Werkzeug verwendet Ang Lee in "Hulk" an zahlreichen Stellen Split-Screens, ein Stilmittel, welches häufig eingesetzt wird, um die innere Zerrissenheit oder Vielschichtigkeit eines Charakters bildlich zu illustrieren und welches beispielsweise der dissoziativen Persönlichkeit der Hauptfigur in Paul McGuigans "Gangster No. 1" ostentativ Ausdruck verlieh. Auch Bruce Banner ist eine solche gespaltene Figur, aus dessen Alter Ego, dem titanischen Hulk, allerdings nicht wie in Robert Louis Stevensons archetypischer Vorlage "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" die bislang im Zaum gehaltenen, atavistisch-bösen, sexuellen und aggressiven Urtriebe hervorbrechen, sondern in dem sich der heilige, gerechte Zorn einer lange gequälten und unterdrückten Seele manifestiert. Allerdings hat Ang Lees "Hulk" eine markante Schwachstelle, durch welche dem Film letztendlich die Höchstnote wie bei "Spider-Man" verwehrt bleiben muss, und das ist der Hulk selbst. Zugegeben, die Tricktechniker von ILM haben bei der Kreation des grünen Giganten Höchstleistungen vollbracht, und seine kilometerweiten Sprünge über Wüsten, Gebirge und die Golden Gate Bridge sowie seine Kämpfe mit Panzern, Hubschraubern und Kampfjets sind (mit Ausnahme des wirklich ärgerlichen Kampfes mit den Riesenhunden) fast schwereloses, anmutiges Action-Ballett. Doch der Hulk bleibt visuell, bei aller effekttechnischen Brillianz, vor dem Hintergrund einer Realverfilmung ein Fremdkörper, der sich - ganz anders als Peter Jacksons grandioser Gollum - weder in seiner Optik und vor allem nicht in seinen Bewegungsabläufen in die Umgebung integrieren lassen will. Vor allem der springende und rennende Hulk lässt fast zwangsläufig Assoziationen zu Jeffrey Katzenbergs "Shrek" aufkommen - und die wollen nun einmal so gar nicht zu dem ernsthaften, getragenen Grundcharakter von Ang Lees Film passen! |
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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.