"Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden, im Lande Mordor, wo die Schatten drohen." Noch heute lässt diese mythische Ankündigung des bevorstehenden Weltuntergangs Millionen von Fans weltweit andächtig erschauern. Weit über 50 Millionen mal wurde Tolkiens Romantrilogie über den Urkampf des ewig Bösen gegen das immerwährende Gute verkauft und in 25 Sprachen übersetzt. Schon Meisterregisseure wie John Boorman oder Stanley Kubrick befassten sich gedanklich mit einer Verfilmung, Kubrick plante sogar eine Filmfassung mit den Beatles. Die Zeichentrickversion von 1977 aus der Feder von Ralph Bakshi, der unter anderem für den sarkastischen Kulthit "Fitz the cat" verantwortlich zeichnete, scheiterte überwiegend an der formalen Umsetzung und ärgerte die Fans vor allem wegen des abrupten Endes, da der Film nur die ersten anderthalb Bücher behandelte. Die ohne Bakshi gedrehte Zeichentrick-Fortsetzung "The return of the king" von 1980 kam in Deutschland nie auf den Markt. Eine Realverfilmung, so die damals einhellig vorgetragene Meinung, sei auf Grund des erforderlichen tricktechnischen Aufwandes nicht möglich.
Jackson gelang das Meisterstück, Tolkiens märchenhaftes Epos über die Rettung der Welt vor dem dunklen Herrscher Sauron in eine visuell und narrativ zeitgemäße Adaption zu fassen, ohne dabei den Geist des Originals zu verraten. Natürlich wäre es nicht möglich gewesen, die gesamte religiös-philosophische Dimension des Buches eins zu eins auf die Leinwand zu bringen, genauso wenig wie das unglaublich akribisch und detailverliebt ersonnene Panoptikum an Völkern, Rassen, Wesensarten, Biographien, Mythologien und geographischen Einzelheiten, mit denen der Philologie-Professor John Ronald Reuel Tolkien sein persönliches Universum Mittelerde ausstattete. Peter Jackson holte sich stattdessen die Essentials des Buches, kürzte und straffte genau an den richtigen Stellen, um an anderen die Akzente zu setzen, die das Medium Film über eine reine Romanbebilderung hinaus bietet. Damit verließ er die Sphäre eines Chris Columbus, der als braver Auftragsarbeiter den millionenfachen Romanerfolg "Harry Potter" nur mit den passenden Bildern ausstattete, und emanzipiert sich zu wirklicher filmischer Souveränität: "Der Herr der Ringe" würde im Gegensatz zu Harry Potter auch ohne das Buch funktionieren. Erzählerisch spannt er dabei den Bogen etwas weiter als das Buch und findet die passende Drehbuch-Zäsur im ersten Kapitel von Band zwei "Die zwei Türme".
Auch die Darsteller werden der Romanvorlage gerecht. Vigo Mortensen personifiziert perfekt den geheimnisvollen, schweigsamen Streicher, der sich als Aragorn zum Führer der Schicksalsgemeinschaft gegen Sauron avanciert, Elija Wood den urplötzlich aus der Idylle des Auenlandes in die Grausamkeit des Ringkrieges gestoßenen Hobbit Frodo und Sean Bean den innerlich zerrissenen, an seiner Aufgabe verzweifelnden Gondor-Fürsten Boromir. Ian McKellen lässt als weiser Übervater Gandalf zu keinem Zeitpunkt Sean Connery vermissen, Liv Tyler ist - wie immer - die betörendste Versuchung, seit es Elbenprinzessinnen gibt. Und Christopher Lee ist niemals Dracula gewesen, er ist, lebt und atmet Saruman, den Weißen. Ein wundervolles Kabinettstück bietet Charakterdarsteller Ian Holm trotz computerinduzierter Verkleinerung als Bilbo, Held des Ring-Prologs "Der kleine Hobbit". Bei den in Mittelerde beheimateten Monstren konnte Peter Jackson seine Herkunft vom Horror- und Trashfach nicht verheimlichen. Die Idee, die Orks als echsenartige Zombiewesen darzustellen, widerspricht zwar dem Wortlaut des Romans, wo die von Morgoth durch Folter erschaffenen Heerscharen als haarig beschrieben und bisweilen als "Affen" beschimpft werden, wird aber der düsteren und unheilschwangeren Atmosphäre der Vorlage vollauf gerecht. Die Nazgul, Saurons Ringgeister, entsprechen als dämonische, schwarze Schatten hingegen exakt der literarischen Darstellung. Viel angsteinflößender und bedrohlicher als alle Orks, Balrogs und Nazgul zusammen ist jedoch, im Buch wie im Film, der Ring selbst. Wäre er Thema eines zeitgenössischen Thrillers, so müsste man ihn eigentlich als McGuffin bezeichnen, als austauschbares Objekt der Begierde, um das sich sämtliche Auseinandersetzungen der Handlung entzünden. Peter Jackson gelingt es jedoch mit Hilfe einiger fabelhafter visueller Ideen, ihn zum Dreh- und Angelpunkt der ganzen Geschichte, zum Hort des Bösen und zum Kulminationspunkt aller Bedrohung zu stilisieren. Furios gelingen die Szenen, in denen der Hobbit Frodo durch das Überstreifen des Rings in jenes diffuse Paralleluniversum versetzt wird, in dem er für normale Augen unsichtbar, für Sauron und seine Dämonen aber umso besser zu orten ist. In der besten und zugleich erschreckendsten Szene lässt sich Bilbo während der Versammlung in Elronds Haus von seinem Neffen Frodo noch einmal den Ring zeigen und wird dabei beinahe von der Gier übermannt: "Gib mir den Ring" kreischt Bilbo mit der schneidenden Falsettstimme des vorherigen Ringträgers Gollum, während sich sein Gesicht zu einer grausigen Fratze verzerrt. Erst hier wird deutlich, wie kongenial es Peter Jackson gelungen ist, Fähigkeiten und Erfahrungen aus seinen früheren Filmen, speziell dem Splatter-Klassiker "Braindead", zur zeitgemäßen Interpretation Tolkiens heranzuziehen. |
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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.