Es ist schon eigentümlich, wenn angesichts des Gigantimus von
Massenszenen, gewaltigen Kulissenbauten und überbordender Tricktechnik
eines Films ausgerechnet eine Szene mit einem kleinen, CGI-animierten
Fantasiewesen am intensivsten in Erinnerung haften bleibt: Es ist jene
Sequenz in "The lord of the rings - The two towers", in der Gollum einen
Monolog - oder besser - einen Dialog mit sich selbst hält und stets mit
wechselnder Mimik mit seinem alternierenden Ego debattiert, wie man am
besten mit den beiden Hobbits Frodo und Sam umgehen solle, um ihnen den
begehrten Ring wieder abzujagen. Gollum alias Sméagol, jenes
derangierte, fratzenhafte Grottenolm-Geschöpf, einst selbst Halbling vom
Familienschlag der Starren, aber durch den jahrelangen Besitz des Einen
Rings körperlich deformiert und geistig vergiftet, getrieben von
rasender Wut auf die Hobbits, unbändiger Gier nach dem Ring und der
schicksalhaften Erbsünde des Mords, den er einst an seinem Freund Déagol
beging. Jener Gollum, in dem John Ronald Reuel Tolkien sowohl das
biblische Kain-und-Abel-Motiv als auch die zum Zeitpunkt des Entstehens
noch als wissenschaftlich fundiert geltenden Erkenntnisse der
Psychoanalyse Siegmund und Anna Freuds verarbeitete.
Als "Einverleibung" und "seelischen Kannibalismus" beschrieb der
Psychoanalytiker Siegfried Elhardt das Phänomen der Introjektion, bei
der das Unterbewusstsein zur Abwehr eines selbstbedrohenden Angst- oder
Schuldimpulses Charakterelemente einer anderen Person identifikativ
aufnimmt und zu eigen macht. Tolkien machte daraus im Buch eine
komplette schizophrene Persönlichkeitsspaltung Gollums, die sich im Film
so markant wiederfindet, dass sie selbst eine kleine, verhutzelte und
noch dazu virtuelle Figur unheimlich, bedrohlich und beklemmend wenig
künstlich erscheinen lässt. Eine augenfällige Relation verbindet die
Verfilmung von "The two towers" darin mit der jüngsten
Joanne-K.-Rowling-Adaption "Harry Potter and the chamber of secrets", in
der ebenfalls ein computergeneriertes Wesen, der Hauself Dobby, vielen
der menschlichen Darstellern die Schau stahl. In "The two towers"
hinterlässt Gollum, den die Spezialisten der neuseeländischen
Softwareschmiede WETA mit über 250 verschiedenen Gesichtsausdrücken
ausstatteten und dem Andy Serkis Bewegung und Stimme verlieh, den
nachhaltigsten emotionalen Eindruck.
"Well, master, we're in a fix." Es ist schon ein symptomatischer Satz,
den Sam Gamgee zu Beginn des Kapitels "The taming of Sméagol", etwa zur
Hälfte des zweiten Bandes von J.R.R. Tolkiens "Lord of the rings"
ausspricht. Denn in einer misslichen Situation befand sich Regisseur
Peter Jackson mit dem zweiten Teil seiner Verfilmung der bekanntesten
Roman-Trilogie der Fantasy-Literatur ohne Zweifel: Wie soll und kann man
ein Filmwerk, welches weltweit über 870 Millionen Dollar einspielte, bei
Fans und Kritik begeisterte Ovationen erntete, für 13 Oscars nominiert
und schlussendlich mit vieren der begehrten Trophäe ausgezeichnet wurde,
noch übertreffen? Noch dazu, wenn alle drei Teile größtenteils
gleichzeitig abgedreht wurden und nach dem Kinostart von "The lord of
the rings - The fellowship of the ring" vor einem Jahr nur noch Post
Productions blieben, um an Teil zwei zu feilen. Mit "The two towers"
bleibt der neuseeländische Independent-Spezialist, der mit der
Verfilmung des Jahrzehnte als unverfilmbar geltenden Tolkien-Werks in
die Champions-League des internationalen Film-Biz aufstieg, seiner Linie
treu, vergleichsweise autark von Gesetzmäßigkeiten des Mainstreams mit
der literarischen Vorlage umzugehen. Doch "The two towers" ist trotz
noch größeren Aufwands an Tricks, Effekten, Landschaften und Panoramen,
Massenszenen, Monstern und Fabelwesen nicht im gleichen Maße perfekt
geraten wie sein Vorgänger: Ausgerechnet Peter Jackson unterliefen im
Umgang mit der Story handwerkliche Fehler, die einem so versierten,
förmlich besessenen Kino-Magier nie hätten passieren dürfen!
"The two towers" erzählt vom Fortgang des Ringkriegs nach dem Bruch des
Bundes und Boromirs Tod am Parth Galen. Die drei Handlungsstränge um
Aragorn, Legolas und Gimli zum Ersten, Merry und Pippin zum Zweiten
sowie Frodo, Sam und Gollum zum Dritten werden nicht wie im Roman in
voneinander unabhängige Kapitelblöcke separiert, sondern - ganz dem
dramaturgischen Regelwerk des Mediums Film entsprechend - miteinander
verschränkt und an jeweils besonders dramatischen Stellen im Stil von
Cliffhangern gekoppelt. Dabei gruppierte Jackson einzelne
Handlungselemente der Vorlage derart um, dass sich im Gegensatz zum
Roman eine innere Spannungskurve mit den beiden Schlachten an Helm's
Deep und um Isengart als Höhepunkte und dramatische Schlussakkorde
ergeben. Peter Jackson verzichtet dabei völlig auf Exposition,
Einführung der Figuren oder Erklärung der Zusammenhänge. Zuschauer ohne
tolkienistische Vorbildung und vor allem ohne Kenntnis des ersten Teils
dürften also im Gewirr der drei Handlungsebenen ähnlich orientierungslos
herumirren wie Frodo und Sam im Emyn Muil.
Massiv gekürzt wurde unter anderem bei Aragorn, Legolas und Gimlis
Verfolgung der Orks, die am Ende des ersten Teils die beiden Hobbits
Merry und Pippin verschleppten. Recht schnell wechselt die Handlung nach
Rohan und anschließend zur Schlucht Helm's Deep, wo die
Auseinandersetzung zwischen den Menschen von Rohan und den Truppen des
abtrünnigen Zauberers Saruman in einer gewaltigen Schlacht kulminiert.
Zeitgleich setzen Sam und Frodo ihren Weg gen Mordor fort, wobei sie im
ehemaligen Ringbesitzer Gollum einen unwillkommenen Begleiter erhalten.
Intelligenterweise sparte sich Jackson die Begegnung des Trios mit
Shelob für den dritten Film auf. Mit der Ungolianth-Nachfahrin wäre nach
der Schlacht von Helm's Deep sicher nur unnötig dramatisches Pulver
verschossen worden.
Wie schon im ersten Film, der mit der tricktechnisch grandios
umgesetzten Belagerung von Barad-dûr am Ende des Zweiten Zeitalters und
der Vernichtung Saurons beginnt, eröffnet Peter Jackson mit einem
visuellen Paukenschlag: Noch einmal erlebt der Zuschauer den Kampf
Gandalfs mit dem Balrog auf der Brücke von Khazad-dûm, doch diesmal
folgt die Kamera dem Sturz der beiden Kontrahenten in die Tiefe und
lässt den Fortgang des Kampfes in den unermesslichen Abgründen des
Hithaiglin miterleben. Es gehört zu den typischen erzählerischen Kniffen
Jacksons beim Transfer vom Buch zum Film, dieses Geschehen als Traum
Frodos zu interpretieren, der seinem Mentor und Freund Gandalf
nachtrauert. In solchen Szenen beweist Neuseelands Kino-Visionär noch
immer seine Fähigkeit, sich im Gegensatz zu Chris Columbus'
Harry-Potter-Romanbebilderungen zu echter filmischer Souveränität
emanzipieren zu können.
Doch Jacksons bislang traumwandlerisch sicherer Umgang mit der
literarischen Vorlage, der er in "Fellowship of the ring" weder durch
die vielen (notwendigen) Kürzungen und Straffungen noch durch eigene
erzählerische Adjunktionen wie zum Beispiel die Aufwertung der Figur
Arwens in Geist, Stil und Atmosphäre etwas anhaben konnte, weist in Teil
zwei urplötzlich massive Schlagseite auf. Gerade die narrativen
Neuelemente aus Jacksons eigener Feder, mit denen er mitunter die eigene
Vergangenheit im Garagen-Horror referenziert und die dem ersten Teil den
Geist einer autarken, aber nicht den Geist der Vorlage verratenden
Adaption verlieh, wirken hier überzogen, gekünstelt, überfrachtet und
unstimmig. Wie gelungen passte im ersten Teil Bilbos kurze, aber umso
erschreckendere zombiehafte Verwandlung, als ihn in Bruchtal noch einmal
die Gier nach dem Ring übermannt, und wie lächerlich wirkt dagegen die
dämonische Besessenheit, die Peter Jackson dem Rohan-König Théoden
andichtet und damit die Bedeutung der Figur Grima Wormtongue fast völlig
ad absurdum führt.
Auf dem Weg in die Schlacht von Helm's Deep lässt sich Jackson von der
Lust an Action-Spielchen auf dem Niveau von Popcorn-Kino übermannen. So
erfindet er einen Angriff von Warg-Kriegern, welcher tricktechnisch zwar
überzeugender umgesetzt ist als alle Velociraptoren Stephen Spielbergs
zusammen, aber im Fortgang der Story ebenso wenig Sinn macht wie ein
vorrübergehender Beinahe-Tod Aragorns. Um die beiden weiblichen Stars
des ersten Teils Liv Tyler und Cate Blanchett überhaupt auf der Leinwand
zum Zuge kommen zu lassen, gibt es einige vergleichsweise redundante
Rückblenden auf das Treffen in Bruchtal.
Ganz und gar ärgerlich wird die Jackson'sche Interpretation, wenn er
Zwergenfürst Gimli (John Rhys-Davies) zur Disney-Witzfigur und dessen
Kleinwuchs zum völlig überflüssigen Running Gag degradiert, was unter
anderem die abgrundtief düstere Stimmung der Helm's-Deep-Schlacht, die
ansonsten ganz auf das hoffnungslose Weltuntergangs-Ambiente der
Romanvorlage abgestimmt ist, stellenweise zunichte macht. Weshalb er
Frodo und Sam nach ihrer Gefangennahme durch den Gondor-Waffenmeister
Faramir auf einmal in Osgiliath auftauchen und dort mit einem Nazgúl
zusammentreffen lässt, der von Faramir in einer ausgerechnet aus George
Pan Cosmatos' "Rambo 2" entlehnten Kampfsequenz vertrieben wird, dürfte
ebenso Peter Jacksons Geheimnis bleiben.
Darstellerisch gibt es an "The two towers" kaum etwas auszusetzen. Ian
McKellen und Christopher Lee thronen nach wie vor als souveräne
Kontrahenten über dem Ganzen, während Elijah Wood überzeugend den
körperlichen und seelischen Verfall des Ringträgers Frodo zur Geltung
bringt. Durch die storybedingte geringere Präsenz Gandalfs geht das
Szepter der Handlung eindeutig an Viggo Mortensen: Der 44jährige
Aragorn-Darsteller dominiert das schauspielerische Geschehen mit
herausragender mimischer und physischer Präsenz und kann sich vor allem
in Action-Sequenzen phantastisch in Szene setzen, wobei er von Orlando
Bloom (Legolas) und John Rhys-Davies (Gimli) ebenso glänzend ergänzt
wird. Brad Dourif, der seit seiner Rolle als suizidaler
Psychiatrie-Patient Billy Bibbit in "One flew over the cuckoo's nest"
ein festes Abonnement auf Schurken- und Psychopathenrollen gebucht hat,
kann als schleimiger Königsberater Grima Wormtongue die ganze Bandbreite
seiner Grimassenkunst ausspielen. Bernhard Hill, der 1997 als Kapitän
auf James Camerons "Titanic" unterging, spielt als Rohans König Théoden
solide, während die Neuzugänge Miranda Otto als Eowyn und David Wenham
als Faramir farblos bleiben und auf bessere Szenen in Teil drei hoffen
lassen.
Auftrumpfen kann "The two towers" wie schon sein Vorgänger mit
Ausstattung, Design und vor allem seiner superben Kameraarbeit. Peter
Jacksons Liebe zum Detail und zum Perfektionismus jeder noch so
kleinsten Einstellung grenzt erneut ans Fanatische und überrollt den
Zuschauer mit einem Bildersturm von archaischer Urgewalt und
schwindelerregender optischer Wucht. Mit atemberaubenden Kamerafahrten
setzt Peter Jackson seine neuseeländische Heimat in Szene, wobei ihm
wiederum Landschaftspanoramen von betörender Schönheit und
majestätischer Erhabenheit gelingen. In den Action-Sequenzen zeigt "The
two towers" schlicht perfekt choreographierte Kampfszenen und komponiert
im Finale an Helm's Deep ein apokalyptisches Schlachtengetümmel, welches
visuell Seinesgleichen suchen dürfte. Tricktechnisch überzeugen vor
allem die Uruk-Hai, bei denen Peter Jackson seinem Faible für
Trash-Horror marke "Braindead" frönt, sowie die Warg. Eindeutig zu
gutmütig fallen die Ents aus, die im Roman zwar als sehr bedächtig, aber
nichtsdestotrotz ungemein gefährlich geschildert werden. Speziell
deutsche Kinozuschauer werden sich bei Treebeard der Assoziation zum
Steinbeißer aus Roland Emmerichs "Unendlicher Geschichte" kaum erwehren
können.
Nach wie vor ist Peter Jacksons filmisches Kolossalgemälde das Beste,
was der lange als unverfilmbar geltenden Romanvorlage passieren konnte.
Dem Neuseeländer gelingt es unverändert, ein eigenständiges Werk zu
schaffen und keine geschriebenen Buchstaben in Bildern nachzuerzählen.
Sein Versuch, dem düster-martialischen Monumentalepos vom archaischen
Kampf des Guten gegen das Urböse mittels selbstironischer Versatzstücke
etwas Zeitgeist beizubringen, dürfte jedoch als gescheitert angesehen
werden. Filmtechnisch hat Peter Jackson seine Tolkien-Adaption nach wie
vor fest im Griff. Inhaltlich wird er sich jedoch für den dritten, noch
sehr viel düsteren Teil ein gehöriges Quantum an Selbstdisziplin
auferlegen müssen, um erzählerisch nicht zu scheitern.
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