Wenn der Begriff Mythos, unter dem man landläufig eine Erzählung der Götter-, Erd- oder Menschheitsgeschichte auf der Grundlage von Kollektivvorstellungen versteht, für ein Phänomen im Bereich der Filmbranche angebracht erscheint, dann für George Lucas und seine "Star Wars"-Filme. Stanley Kubrick war es, der den Science Fiction salonfähig machte, George Lucas hingegen schmiedete daraus das erfolgreichste Filmgenre der Welt. Spott und Geringschätzung erntete der damals gerade einmal dreißigjährige Regisseur, als er Mitte der 70er Jahre diversen Produktionsfirmen die Idee eines phantasievollen, beinahe kindlichen Weltraumabenteuers vorstellte. Heute lacht niemand mehr über den mehrfachen Merchandising-Milliardär, dessen erste Star-Wars-Trilogie astronomische Summen einspielte und ganze Fan-Generationen von Jedi-Jüngern und Freizeit-Darth-Vadern hervorbrachte. Die Science-Fiction-Trilogie ist zum Symbol schlechthin für das Artifizielle der Popkultur geworden - eine große Assemblage aus Versatzstücken, von einem dreisten Plünderer aus Märchen und Mythen, aus Filmen und Comics zusammengeklaubt. Einmalig in der Filmgeschichte dürfte auch die (selbstverständlich vom Marketing immer wieder clever geschürte) Beständigkeit des Sternenkults sein, dem seine Anhänger von 1983 bis 1999 auch ohne Film treu ergeben blieben. So lange mussten sie ausharren, bis der Rekord-Regisseur von seinem von Laserschwerten umzäunten und imperialen Sturmtruppen bewachten Olymp herabstieg und das Lucas-Evangelium nach "Return of the Jedi" eine Fortsetzung erfuhr. Was George Lucas der Fangemeinde jedoch 1999 unter dem Titel "Episode I - The Phantom Menace" kredenzte, induzierte bei vielen Star-Wars-Proselyten statt der erwarteten religiösen Verzückung schlichtes Entsetzen: An Stelle der erhofften Fortführung des märchenhaften Galaxienmythos' servierte ihnen der einstige Sternenmagier eine plastikbunte, inhaltlich zwischen infantil-dämlich und schlicht belanglos oszillierende Weltraum-Achterbahn mit Playstation-Anspruch, dem Tiefgang eines Stücks Meteoritenstaub und der Intelligenz eines tatooinischen Gesteinsbrockens. So lag es allein an George Lucas, mit dem nächsten Prequel "Episode II - Attack of the Clones" den entstandenen Flurschaden zu bereinigen. Und tatsächlich ist dem 58jährigen Regisseur mit der insgesamt fünften und chronologisch an zweiter Stelle angesiedelten Episode seiner intergalaktischen Eschatologie das nicht zu unterschätzende Meisterstück gelungen, atmosphärisch die Brücke zum Flair der ersten drei Teile zu schlagen und zugleich - was nicht anders zu erwarten und für einen Lucas-Film ohnehin obligat war - tricktechnisch die Pflöcke wieder einmal meilenweit vor allen Vorgängern einzurammen. Aus Fehlern wird man bekanntlich klug, und so verzichtete George Lucas vor allem erzählerisch auf all jene Ingredienzien, die bei "Episode I" insbesondere den Hardcore-Fans die letzten Sakramente hochkommen ließen: Statt Nintendo-artiger Videogame-Handlung, geistlosem Recycling von Uralt-Versatzstücken der ersten drei Filme und verquast-pseudoreligiösen Mummenschanzes, der in "Episode I" bisweilen mit dem Charme der Oberammergauer Passionsspiele zelebriert wurde, zauberte George Lucas auf einmal wieder das, was vor allem den ersten "Star Wars" von 1977 so liebenswürdig märchenhaft daherkommen ließ: Guten, altmodischen Abenteuerkintopp. Bekanntermaßen gehört George Lucas zu jenen Erdenmenschen, für die Religion, Rittertum und Batman nur verschiedene Bezeichnungen für die gleiche Sache sind. Beflügelt von der ewigen Wiederkehr der Archetypen, die Joseph Campbell in seinem Buch "The hero with a thousand faces" postulierte, drehte er 1977 "Star Wars". Sein Held im weißen Wickelhemd hieß - Skywalker; Vorname: Luke; Beruf: Prinzessinnen-Erretter. Ein wenig komplexer darf's im postideologischen Zeitalter schon sein, doch wie vor 25 Jahren gibt es wieder eine berückend schöne Space-Adlige (Natalie Portman), die von der dunklen Seite der Macht bedroht und von tapferen, Laserschwert-schwingenden Jedi-Recken (Hayden Christensen, Ewan MacGregor) gerettet werden muß. Und das bedeutet - ganz im Gegensatz zum stumpfsinnig und monoton dahinplätschernden Vorgänger - Action, Action, Action! Noch keine drei Minuten ist der Film alt, als bereits das erste Raumschiff explodiert ist und der Zuschauer die Ausmaße der herannahenden Bedrohung zu erahnen beginnt. Und wenn sich wenig später Hayden Christensen und Ewan McGregor über den schwindelerregend in Szene gesetzten urbanen Abgründen der Republikhauptstadt Coruscant eine nervenzerfetzende Verfolgungsjagd mit einem sinistren Attentäter liefern, sind die Weichen endgültig auf Dramatik gestellt. Kongruent zur viel flüssiger inszenierten und auf Space-Thrill getrimmten Story erlebt "Episode II" eine um Parsecs vitalere Darstellerriege als im Vorgängerfilm. Ewan McGregor ist zwar mimisch immer noch Lichtjahre von der Präsenz seines früheren (und älteren) Alter Egos Alec Guinness entfernt, scheint aber inzwischen seinen Frieden mit der Rolle eines Kutten-tragenden Laserschwert-Ritters gemacht zu haben und weiß sich sogar als Action-Mime in so manchen Kampfszenen ansprechend in Szene zu setzen. Natalie Portman als Padmé Amidala ist diesmal nicht nur eine Augenweide, sondern agiert auch viel lebendiger als in "Episode I", wo sie noch als weißgetünchter Weihnachtsbaumschmuck weihevoll-nichtssagende Plattitüden zu deklamieren hatte. Charaktermime Ian McDiarmid bleibt als Supreme Chancellor Palpatine weiterhin eine Randfigur, strahlt aber inzwischen souverän die Bedrohung aus, die die kommenden Ereignisse und seine dabei fundamental entscheidende Rolle erahnen lassen. Der schwerste Part fiel sicherlich Hayden Christensen mit der Aufgabe zu, dem heranwachsenden Anakin Skywalker darstellerisches Profil und charakterliche Tiefe zu verleihen. Und der 21jährige Newcomer absolviert diesen wahrlich nicht einfach angelegten bravourös: Mit bemerkenswerter Ausdrucksstärke trägt Christensen die Hybris des heranwachsenden Jedi-Schülers zu Markte und zu Felde, expliziert dessen innere Zerrissenheit zwischen Selbstverliebtheit und Pflichterfüllung, zwischen trotzigem Aufbegehren und anerzogenen Verhaltenskonventionen, zwischen prätentiöser Arroganz und stoischer Bescheidenheit, zwischen seiner (natürlich nicht zulässigen) Liebe zu Padmé Amidala und dem Kodex der Jedi-Ritter, im Freudschen Sinne also zwischen Es und Über-Ich. Ein wenig hölzern und bemüht wirken allenfalls Anakins Liebesbezeugungen der angebeteten Senatorin gegenüber, und die krampfhaft hineinpsychologisierte Ursache für seinen wachsenden Hass auf den ungeliebten Ausbilder Obi-Wan liegt irgendwo zwischen Groschenheftniveau und Bäckerblume. Das darstellerische Salz in der interstellaren Suppe bilden hingegen vor allem zwei Figuren: Zum einen Temuera Morrison als Kopfgeldjäger Jango Fett, Vater des später in der gleichen Branche tätigen und vor allem für einen gewissen Han Solo so bedeutsamen Boba Fett, dem vielfach der Ruf der zweitbeliebtesten Schurkenfigur der ersten Trilogie vorauseilte. Seine Einsätze im altbekannten, mit allerlei Waffen ausgestatteten Raketenpanzer bieten allein schon die Rasanz und das Tempo, die in "Episode I" mit Ausnahme des Pod-Rennens so schmerzlich fehlten. Den Besetzungs-Clou schlechthin liefert George Lucas mit Christopher Lee. Der mittlerweile 80jährige Charaktermime, als Dracula einst in Diensten der legendären Hammer-Studios und vor kurzem erst in Peter Jacksons "Lord of the rings" als Saruman zu sehen, bringt erstmals in der Riege der "Star Wars"-Bösewichter wieder die Präsenz, das Charisma und die Aura ein, die den Filmen seit dem Abtritt von der Peter Cushing im ersten "Star Wars" fehlte. Zweifellos war Cushing, wie Lee ein ehemaliger Hammer-Star, 1977 in der Rolle des Grand Moff Tarkin der beste Schurke, den die Serie je erleben durfte - Christopher Lee verleiht ihm einen würdigen Nachfolger. In den Disziplinen Effekte und Design definiert George Lucas sich erneut als das Maß aller Dinge. Optisch bietet "Episode II" Landschaftspanoramen und planetare Impressionen von geradezu überwältigender Grandezza. Der ungekrönte Magnificus der Set-Kreationen beginnt sein fünftes Star-Wars-Werk mit den atemberaubenden Kreationen des präimperialen Hauptstadtplaneten Coruscant, einer ins fast Groteske übersteigerten architektonischen Metamorphose aus Luc Bessons "The fifth element" und dem Design der Wachowski'schen Matrix. Die weiteren Szenerien folgen in lockerer Anlehnung den Ideen des zweiten Star-Wars-Films "The impire strikes back" - nur um einen visuellen Höhepunkt von dem nächsten toppen zu lassen: Eine Stadt inmitten eines von Orkanen durchpflügtern Ozeanplaneten wirkt wie der morpho-futuristische Gegenentwurf zur Wolkenstadt Bespin, eine furiose Verfolgungsjagd durch ein Asteroidenfeld rekapituliert - wenn auch nur kurz - Hans Solos berühmten Asteroidenflug, und im Finale gibt es zahlreiche Reminiszenzen an die Schlacht auf dem Eisplaneten Hoth. Dazu kommen Landschaftsimpressionen vom Planeten Naboo mit den wohl betörendsten und schwelgerischsten Postkartenmotiven diesseits des Andromeda-Nebels. Das fulminante Finale, das wiederum Schlachten zu Lande und in der Luft mit rasanten Laserschwert-Duellen kombiniert, bietet Kinetik am Limit inszenatorischer Möglichkeiten. Für den wie immer kongenialen Score zeichnete ein fünftes Mal John Williams verantwortlich. Auch narrativ greift George Lucas auf das Konzept von "The empire strikes back" zurück, indem er den Plot am Anfang in zwei separate Handlungsfäden aufspinnt, diese über diverse Planeten und Sternensysteme bewegt, um sie in einem elektrisierenden Schlussakkord wieder zusammenzuführen. Es ist seinem inszenatorischen Geschick zuzuschreiben, dass er der nicht allzu komplexen Handlung, in der überdies gegen Ende logische Krater von der Größe eines durchschnittlichen Spiralnebels, Handelsklasse A, klaffen, einige markante Spannungsmomente abgewinnen kann. Und das, obwohl alle drei Star-Wars-Filme der neuen Trilogie mit der Hypothek des Prequels belastet sind: Das Schicksal der meisten handelnden Personen ist auf Grund ihres (chronologisch späteren) Wiedererscheinens in der ersten Trilogie determiniert. Einem Obi-Wan Kenobi oder einem Anakin Skywalker kann eben schlicht nichts wirklich Gravierendes zustoßen - wie sollten sie sonst einige Jahrzehnte später im Todesstern über den Trümmern des Planeten Alderaan wieder aufeinandertreffen können? Neben Reliquien aus dem eigenen filmischen Tabernakel inklusive einer Anspielung auf den Todesstern bedient sich George Lucas diesmal noch unbekümmerter im Fundus der Film- und Literaturhistorie: Neben Motiven des Westerns und des Vietnamkriegfilms werden diesmal unter anderem sogar "Quo vadis" und Isaac Asimovs Foundation-Trilogie zum interstellaren Stelldichein gebeten. Fazit: Der Patient Star Wars ist mitnichten schwer krank, wie man nach der blamablen "Episode I" befürchten musste. Auch wenn die Zugeständnisse an Kommerz, Massengeschmack und inhaltliche Political Correctness nicht zu übersehen sind, besitzen sie diesmal nicht annähernd so viel träge Masse, um damit eine wunderschön altmodische, aber fulminant inszenierte Liebes- und Abenteuergeschichte zu ersticken. George Lucas scheint den galaktischen Groove wiedergefunden zu haben: It's only Rock'n'Roll but I like it! |
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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.