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Kino - dafür werden Filme gemacht

Collateral

Kritik von Patrick Joseph

Der Albtraum jedes Taxifahrers: Anstatt eines ganz gewöhnlichen Fahrgastes nimmt ein mordender Soziopath Platz auf der gepolsterten Rückbank, beschlagnahmt den fahrbaren Untersatz und erpresst den hilflosen Mann am Steuer, dessen Nachtschicht von nun an einem Drahtseilakt zwischen Leben und Tod gleicht. Eine Extremsituation, in dieser Form zu bestaunen in Michael Manns aktuellem Thriller „Collateral“ (2004), der stilistisch und motivisch an das episch breite Crime-Drama „Heat“ (1995) erinnert und an dessen düsteren Schauplatz, nach Los Angeles, zurückkehrt.

Der Mann am Steuer, das ist Max (Jamie Foxx). Seit 12 Jahren „übergangsweise“ als Taxifahrer beschäftigt, übergangsweise deshalb, weil in seinem Hinterkopf noch immer der Traum vom eigenen Limousinen-Service existiert, der Wunsch nach einem Leben in Selbstständigkeit. Sein Taxi ist ungewöhnlich gut gepflegt, passend zur pedantischen Natur des Fahrers, dessen Präzision, Ordnungsliebe und Ehrlichkeit in dieser Nacht auf eine schwere Probe gestellt werden. Der Fahrgast und Misanthrop auf dem Rücksitz nennt sich Vincent (Tom Cruise). Der schlichte graue Designeranzug korrespondiert mit seiner Haarfarbe, ein Geschäftsmann möglicherweise, vielleicht sogar Anwalt.

Doch der erste Eindruck täuscht. Für 700 US-$ ist selbst der penibel korrekte Max gegen die bestehenden Vorschriften bereit seinen Kunden in dieser Nacht zu fünf verschiedenen Geschäftsterminen zu fahren, Vincent will in Los Angeles Leute treffen, Unterschriften abholen, Hände schütteln. Doch bereits bei ihrer ersten Station gerät die Situation außer Kontrolle und auch Max bleibt nicht länger verborgen, dass sich sein Begleiter in einem extravaganten Geschäft beängstigend gut auskennt: Mord. Es beginnt eine hochsensible und klaustrophobisch spannende Allianz zwischen dem Taxifahrer Max und dem professionellen Auftragskiller Vincent, der binnen weniger Stunden fünf Kronzeugen und Staatsanwälte eines groß angelegten Gerichtsprozesses eliminieren soll, um die weiße Weste seines Auftraggebers - Unterweltgröße Felix (Javier Bardem) - über den nächsten Morgen hinaus sauber zu halten. Vollkommen unfreiwillig wird der unbescholtene Chauffeur Komplize des emotionslosen Killers, der seinen Helfer in jeder Hinsicht manipuliert. Die Fahrten von einem Opfer zum nächsten werden zur zerreißenden Geduldsprobe für Max, denn es gilt sein eigenes Leben zu schützen, hat er doch als Hauptzeuge keine guten Überlebenschancen.

Michael Mann inszeniert die nächtliche Todesfahrt durch Los Angeles als naturalistisches Erlebnis der seltsam vitalen Beziehung zwischen Max und Vincent, die trotz ihrer offenkundigen, charakterlichen Unterschiede im Laufe der Zeit ein geradezu vertrautes Verhältnis entwickeln, das sich im Gegensatz zu früheren Werken Manns auch durch eine süffisante Prise Situationskomik und Zynismus auszeichnet. Nach De Niro/Pacino aus „Heat“ (1995) oder Crowe/Pacino aus „The Insider“ (1999) schickt Mann wieder einmal ein männliches Duo ins Rennen, das sich im Verlauf dieser Handlung durch ein stilistisch unterkühltes und nahezu ausgestorbenes Nachtleben von Los Angeles laviert. Voll und ganz konzentriert sich Collateral auf den psychologischen Nervenkitzel der Hauptfiguren und initiiert nur marginal – dann aber ebenso erfolgreich – den Versuch aus dem grandiosen Taxi-Thriller auch einen bildgewaltigen Actionfilm zu machen. Cruise und Foxx bilden innerhalb dieses eingeengten Universums großstädtischer Verlorenheit und tödlicher Präzision ein beeindruckendes Gespann, in dem nicht nur der vordergründig gegen jedes Rollenprofil besetzte Cruise, sondern auch ein ungeahnt zurückhaltender Jamie Foxx brilliert, dessen Schauspiel sich in Collateral über Details definiert.

Dritte Hauptfigur und nicht unwesentlicher Bestandteil der phänomenalen Optik des Films, ist die Stadt Los Angeles selbst oder vielmehr die Art mit der Michael Mann ihren Charakter einfängt. Der Gebrauch von digitaler Videotechnik macht sich auf das primäre Erfassen des Stadtbildes ebenso bemerkbar wie die ständig wechselnden Schauplätze, die sich nicht auf gläserne Hochhäuser, asphaltierte Highways oder bebende Nachtclubs beschränken. Mann ergründet die Stadt in ihrer Vielfältigkeit, verwendet verlassenes Industriegelände, Raffinerien, die sich soweit vom Zentrum entfernen, dass die trostlose Wüste nicht mehr weit sein kann und selbst herumirrende Kojoten zum nächtlichen Stadtbild gehören. Eine Stadt mit Misstönen, eine Komposition in Moll, nicht zu vergleichen mit Martin Scorseses expressiver Darstellung eines Höllenvorhofs in New York, zu sehen im Klassiker „Taxi Driver“ (1976), doch auf eine eigene Art bizarr, unterkühlt und erschreckend anonym.

Viel hat Collateral mit Musik zu tun, „Jazz“ erscheint an dieser Stelle das richtige Stichwort zu sein, nicht nur weil auf Vincents Todesliste auch der eloquente Barbesitzer und Musiker Daniel (Barry Shabaka Henley) steht, dessen Begegnung mit seinem Mörder zu einer faszinierenden Konversation und einer erschreckend guten Demonstration von Professionalismus wird, sondern auch weil der Film auf eine kongeniale musikalische Untermalung setzt, welche Max und Vincent auf ihrem Trip durch Los Angeles begleitet. Eine wundersame Verschmelzung verschiedener Musikrichtungen, über Klassik, Jazz bis hin zu elektronischem Pop, deren scheinbare Improvisation nicht über die Perfektion hinwegtäuschen kann mit der Michael Mann sie verwendet und von der Collateral lebt.

Wie improvisiert wirkt auch die schleichende Metamorphose der ungleichen Antagonisten. Während Max die biedere Hülle des selbstgefälligen Illusionisten sukzessiv abnehmen muss, um letztendlich sein eigenes und das Leben anderer zu retten, der unscheinbare Taxifahrer somit zur Heldenfigur avanciert, entblößt der sarkastische Menschenfeind und Existenzialist Vincent ungeahnte charakterliche Leere, die sich für den professionellen Auftragsmörder als moralisches Schutzschild erweist. Wahlweise sinniert er über philosophische Sachverhalte, deren Innerstes einerseits die Suche nach männlicher Identität repräsentiert, andererseits offensichtlich gesellschaftskritisch hinter das professionalisierte Töten und die isolierende Anonymität der Großstadt blickt. Vincent ist mehr als eine programmierte Maschine, intelligent, auf seine Art tiefsinnig und gerissen, doch letzten Endes doch nur das personifizierte Böse in einem schicken, grauen Anzug. Für Tom Cruise, der in der Vergangenheit allzu häufig die Rolle des ehrgeizigen Yuppies und Karrieristen verkörperte, stellt diese negative Figur zugleich einen Bruch mit dem altbekannten Figurentypus dar, der in der Regel im Laufe der Handlung eine kathartische Reinigung bis zum glückseligen Ende erfährt, und ist in seinem Kern doch nur eine pervertierte Form, eine gesteigerte Weiterentwicklung des aufstrebenden Perfektionisten. In Filmen wie „Jerry Maguire“ (1996) oder „Vanilla Sky“ (2001) bewirkt das Phänomen der Liebe eine Art geistigen Umschwung, der aus einem besessenen Einzelgänger einen liebenden, geliebten und moralisch vertretbaren Männercharakter formt. Vincent verweigert sich dieser Entwicklung, denn er bleibt bis zum Ende professionell, verhält sich nach seinem eigenen Code, nach den Regeln des Spiels und das bedeutet für ihn in erster Linie: Töten. Zum Broterwerb.

Sicherlich eine von Cruises stärksten Rollen, gelingt ihm doch die Darstellung von Vincents ambivalenter Natur, deren Merkmal es ist archaisches Morden mit intelligentem Zynismus zu kombinieren, perfektes Töten wie improvisierte Gewalt erscheinen zu lassen. Es gibt keinen moralischen Wandel, keinen reinigenden Effekt, der aus ihm einen liebenswürdigen Charakter machen könnte. Charismatisch ist er allemal, in seiner peniblen Perfektion und zynischen Weltanschauung geradezu sympathisch und auch daher schwer einzuordnen. Dazu passend kleidet er sich gut, interessiert sich für Jazz und entlarvt das bieder-bodenständige Verhalten seines Komplizen Max, dessen berufliche Ambitionen er schnell zu den utopischen Wünschen eines Träumers sortiert. Aus dieser brisanten Zwei-Mann-Konstellation entwickelt Collateral eine beinahe schwebende Rasanz mit der Mann immer wieder Haken in seiner Erzählung schlägt, während sich sein Thriller vor allem auf den „Thrill“ zwischen den Charakteren bezieht. Nach einem langsameren Beginn in dem Max die erste Fahrt der Nacht für die Staatsanwältin Annie (Jada Pinkett Smith) macht, nimmt die Handlung mit Vincents Erscheinen sogleich Fahrt auf, um sich auf das intensive Spiel zwischen Cruise und Foxx einzulassen.

Ohne weiteres wäre es auch hier möglich den Film an einigen Stellen zu kürzen, um den für Manns Verhältnisse ohnehin komprimiert wirkenden Figuren und Situationen noch mehr atmosphärische Präsenz und letale Intensität zu verleihen. Doch Mann wäre nicht der Regisseur, der er heute ist, würde er nicht noch etwas mehr erzählen wollen aus diesem düsteren Universum von Los Angeles. Collateral funktioniert als Film, als Geschichte, als Unterhaltungsware ganz exzellent. Man wird hier nicht die epische Tragweite von „Heat“ (1995) wiederfinden, dafür ist die Handlung in weiten Teilen zu rasant, der Erzählrhythmus zu fokussiert und auf die klaustrophobische Spannung beschränkt, dennoch bietet Collateral großartige Charaktere und intelligente Dialoge, die man in diesem Genre leider viel zu selten findet. Der Film wirkt wie eine vage Improvisation des Regisseurs, ein Spiel mit bekannten und unbekannten Stilmitteln, technisch und stilistisch brillant inszeniert. Nicht zuletzt deshalb verdient sich Collateral ein anständiges Trinkgeld, eine Wertschätzung mit der Taxifahrer Max in dieser Nacht nicht unbedingt rechnen kann.


Diese Kritik ist die Meinung von Patrick Joseph.

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