Die Reise in die Vergangenheit und korrigierende Eingriffe darin durch
den Zeitreisenden dürften zu den größten, aber vermutlich auch
unerfüllbarsten Wunschträumen der Science-Fiction-Literatur und
-Filmgeschichte gehören. Dabei bleibt die logische Frage, ob sich die
Zeit nachträglich überhaupt verändern läßt oder der Status Quo der
Gegenwart nicht einfach den bisherigen Ablauf aller Ereignisse allein
durch sein Vorhandensein als den einzig möglichen zwingend festschreibt,
das wohl für immer unauflösbare Paradoxon dieser literarischen Idee.
Läuft diese Frage doch stets auf das immer gleiche Gedankenexperiment
hinaus: Wenn ich die Vergangenheit reise und meinen Vater töte, werde
ich nie geboren, kann aber dann auch nicht mehr in die Vergangenheit
reisen.
Die Science-Fiction-Literatur versuchte dieser vertrackten Logikfalle
mit dem Konstrukt nicht eines, sondern unendlich vieler verschiedener
Universen zu begegnen, die jeweils aus den verschiedenen möglichen
Ausgängen eines Ereignisses hervorgehen. Vom n-dimensionalen Überraum
aller dieser Universen und dem diesen Raum beschreibenden Weltenverktor
aus Orts- und Zeitkoordinaten spricht Kurt Mahr, der in den 50er Jahren
zu den erfolgreichsten (allerdings auch trivialsten) deutschsprachigen
Science-Fiction-Autoren zählte. Kann die geringfügige Änderung eines
Ereignisses in der Vergangenheit das Gefüge dieser unendlich vielen
parallelen Zeitebenen in der Gegenwart des Zeitreisenden beeinflussen
und wenn ja, wie? In seiner Kurzgeschichte "Kunersdorf" bringt Kurt Mahr
das symbolische Gedankenspiel vom oft zitierten Schmetterling, dessen
Flügelschlag am anderen Ende der Welt einen Orkan auslöst, auf das
erzählerische Tableau einer Zeitreise: Nachdem der tragische Held der
Geschichte ins Jahr 1759 reist, um die vernichtende Niederlage
Friedrichs des Großen gegen die Russen und Österreicher in der Schlacht
bei Kunersdorf zu verhindern, landet er bei seiner Rückkehr auf einer
toten und menschenleeren Erde.
Diesem von der Chaosmathematik postulierten Effekt der unabsehbaren
Eskalation scheinbar geringfügiger Ereignisse, in den 60er Jahren
erstmals vom US-Meteorologen Edward N. Lorenz formuliert, verdankt auch
"Butterfly Effect" seinen Namen. Die Grundidee seiner Story schöpft der
Film von Eric Bress und Jonathan Mackye Gruber wie so viele
Zeitreisefilme vor ihm aus dem Gedankenkonstrukt, die eigene Gegenwart
mittels Ungeschehenmachen der Vergangenheit korrigieren zu können. Für
die gleiche Situation eine zweite oder dritte Chance zu bekommen, alles
noch einmal auf Null setzen und neu starten zu dürfen - wie schon Tom
Tykwer in "Lola rennt", Gregory Hoblit in "Frequency", Harold Ramis in
"Groundhog Day" oder Jack Sholder in "12:01" nehmen sich Bress und
Gruber einer der ältesten Wunschphantasien des Menschengeschlechts an,
die sich in der ach so alltäglich, aber beinahe allumfassenden Frage
niederschlägt: Was wäre, wenn?
Daß solch allmächtig scheinende Veränderung der Vergangenheit in ihrer
literarischen und Spielfilm-Behandlung immer vor Brüchen, Paradoxien,
Verkürzungen und auch blühendem Unsinn strotzen muß, ist längst vor der
Lektüre oder der Betrachtung klar. Denn nur eine einzige Korrektur des
Geschehenen würde unermeßlich viele neue Folgen bedingen. Die
verursachende Figur wäre in mindestens zwei Paralleluniversen zu Hause
und müßte mit zwei Gedächtnissen leben. Genau hieran knabbert auch die
Hauptfigur des Films, der Psychologiestudent Evan Treborn, den der
darstellerisch dummerweise mittelschwer unterbelichtete Ashton Kutcher
durchweg mit der Lizenz zur Einfältigkeit darbietet.
In "Butterfly Effect" ist gegenüber vergleichbaren Vorgängern vor allem
die Art und Weise der Zeitreise, derer sich der tragische Protagonist
befleißigt, von Interesse: Statt sich als komplette Person durch die
Zeit zu transferieren oder wie in Hoblits "Frequency" Funknachrichten zu
übermitteln besitzt er die Fähigkeit, seinen Geist in sein um viele
Jahre jüngeres Alter Ego zu versetzen, welches dann - ausgestattet mit
dem Bewußtsein, dem Wissen und der Erfahrung des älteren Ichs - für
kurze Zeit in die Lage versetzt wird, in längst vergangene
Handlungsabläufe einzugreifen.
Gegenüber dem phantasievollen und warmherzigen "Frequency" nimmt das
Zeitreise-Thema im inhaltlich sehr ähnlich angelegten "Butterfly Effect"
trotz eines sehr romantischen Subplots um eine ewige und scheinbar
unerfüllbare Liebe zweier Heranwachsender äußerst finstere Gestalt an.
Noch bevor überhaupt das erste Mal phantastische Elemente zum Tragen
kommen, tauchen Bress und Gruber ihre Hauptfiguren in einen düsteren
Sumpf des urbanen Schreckens: Der Vater des elfjährigen Evan sitzt als
mörderischer Psychopath in einer forensischen Klinik ein, der Vater
seiner besten Freundin Kayleigh betreibt mit seinen eigenen Kindern
perverse pädophile Spiele, und Kayleighs Bruder ist ein ausgemachter
Sadist. Von der ersten Minute an erwartet der Zuschauer stets das
Schlimmste - eine Grundstimmung, die sich das Filmemacher-Duo bei seinem
eigenen Script für "Final Destination 2" abgeguckt hat. Das tritt dann
auch ein, als die Jugendlichen mit einem typischen Dummen-Jungen-Streich
einen entsetzlichen Unfall auslösen, der ihre Lebenswege nachhaltig
verbiegen und auseinander führen soll.
Erst Jahre später entdeckt Evan, inzwischen Psychologiestudent, an sich
die Fähigkeit, sein Bewußtsein mit Hilfe alter Tagebücher zurück durch
die Zeit zu beamen, und ergreift die Gelegenheit beim Schopf, die
fatalen Ereignisse von einst ungeschehen zu machen - eine Konstellation,
die sicherlich nicht ganz zufällig an Stephen Kings Erfolgsroman "It"
erinnert: Auch hier beeinflußt ein schauderhaftes Kindheitserlebnis den
Lebensweg einer Gruppe von Erwachsenen, die sich erst nach einer
Wiederholung von dessen traumatischem Einfluß befreien können. Doch
Evans Versuche, den Verlauf von menschlichen Schicksalen nach seinem
Willen zu modifizieren, hat fatale Folgen: Wie in Max Frischs 1968
uraufgeführtem Theaterspiel "Biographie" hat nämlich nicht nur der
zeitreisende Protagonist - bei Frisch ist es der Verhaltensforscher
Kürmann - beim zweiten Versuch noch einmal die gleiche
Entscheidungsfreiheit, sondern alle anderen Personen auch, was bei jedem
Eingriff in die Vergangenheit zu noch größerem und schlimmerem Chaos
führt und Evans Welt Stück für Stück aus den Fugen geraten läßt. Es ist,
als wollte "Butterfly Effect" dem Zuschauer mit seinem jedes Mal
ausbalancierten Gleichgewicht des Schreckens den ersten Hauptsatz der
Thermodynamik einhämmern: Die eine Rettung setzt an anderer Stelle neues
Unheil frei, ein verlängertes Leben kostet ein anderes, und immer
scheint das Glück ein verspielter Gewinn zu sein. Erzählerisch hält
"Butterfly Effect" das auferlegte Tempo durch, der Film nutzt das
Klischee der Zeitreise, um ihm gefährliches Leben einzuhauchen.
Eric Bress und Jonathan Mackye Gruber, das wird sehr schnell klar,
haben bei allem gelungenen Thrill mit "Butterfly Effect" einen
unglaublichen quantenphysikalischen Quatsch zusammengeschrieben. Da
schlackert's derart vernehmlich im Raum-Zeit-Kontinuum, daß man geneigt
ist, Robert Zemeckis' "Back to the future"-Trilogie als Lehrstück in
Relativitätstheorie in den Lehrplan naturwissenschaftlicher Hochschulen
aufzunehmen. Dennoch gelingt es dem Regie-Duo, seinem wirren
Zeitreise-Potpourri einige wirklich morbide und verstörende Momente
abzugewinnen. Hinzu kommt eine gehörige Portion bitterbösester schwarzer
Humor: Die Schadenfreude, mit der man Evan dabei begleitet, während
seiner transdimensionalen Trial-and-Error-Versuche von einer
verschlimmbesserten Katastrophen-Gegenwart in die nächste zu rutschen,
grenzt stellenweise bereits an Zynismus. Den Darstellern, selbst
Nicht-Schauspieler Kutcher, kann eine durchaus passable Leistung
bescheinigt werden, und der stellenweise markerschütternde Soundtrack
insbesondere in den Schocksequenzen leistet seinen Beitrag für ein trotz
aller himmelschreiender Unlogik gepflegtes Gruselbehagen.
Vermutlich hätte "Butterfly Effect" ein richtig feiner, kleiner und
böser Mystery-Thriller - ganz im Stil seines (wenn auch ungleich viel
besseren) Alter Egos "Donnie Darko" - werden können, hätte Gruber und
Bress nicht im Finale der Mut verlassen. Anstatt den tragischen Helden
endgültig in das selbst entfesselte Verderben abstürzen zu lassen und
damit die Kernbotschaft des Films, beim Zeitreisen doch bitte auf die
Nebenwirkungen zu achten, noch einmal zu unterstreichen, beraubt sich
"Butterfly Effect" durch einen etwas sentimentalen, aber nicht wirklich
tragischen Schlußakkord seines zuvor so konsequent durchgehaltenen
fatalistischen Grundtenors: Es gibt keinen Ausweg aus der Hölle, und
wenn man die Fähigkeit besitzt, Gott zu spielen, ereilt sie einen nur
noch schneller.
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