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Kino - dafür werden Filme gemacht

Butterfly Effect

"Residenz" Bückeburg (25.08.2004)

Kritik von Johannes Pietsch

Die Reise in die Vergangenheit und korrigierende Eingriffe darin durch den Zeitreisenden dürften zu den größten, aber vermutlich auch unerfüllbarsten Wunschträumen der Science-Fiction-Literatur und -Filmgeschichte gehören. Dabei bleibt die logische Frage, ob sich die Zeit nachträglich überhaupt verändern läßt oder der Status Quo der Gegenwart nicht einfach den bisherigen Ablauf aller Ereignisse allein durch sein Vorhandensein als den einzig möglichen zwingend festschreibt, das wohl für immer unauflösbare Paradoxon dieser literarischen Idee. Läuft diese Frage doch stets auf das immer gleiche Gedankenexperiment hinaus: Wenn ich die Vergangenheit reise und meinen Vater töte, werde ich nie geboren, kann aber dann auch nicht mehr in die Vergangenheit reisen.

Die Science-Fiction-Literatur versuchte dieser vertrackten Logikfalle mit dem Konstrukt nicht eines, sondern unendlich vieler verschiedener Universen zu begegnen, die jeweils aus den verschiedenen möglichen Ausgängen eines Ereignisses hervorgehen. Vom n-dimensionalen Überraum aller dieser Universen und dem diesen Raum beschreibenden Weltenverktor aus Orts- und Zeitkoordinaten spricht Kurt Mahr, der in den 50er Jahren zu den erfolgreichsten (allerdings auch trivialsten) deutschsprachigen Science-Fiction-Autoren zählte. Kann die geringfügige Änderung eines Ereignisses in der Vergangenheit das Gefüge dieser unendlich vielen parallelen Zeitebenen in der Gegenwart des Zeitreisenden beeinflussen und wenn ja, wie? In seiner Kurzgeschichte "Kunersdorf" bringt Kurt Mahr das symbolische Gedankenspiel vom oft zitierten Schmetterling, dessen Flügelschlag am anderen Ende der Welt einen Orkan auslöst, auf das erzählerische Tableau einer Zeitreise: Nachdem der tragische Held der Geschichte ins Jahr 1759 reist, um die vernichtende Niederlage Friedrichs des Großen gegen die Russen und Österreicher in der Schlacht bei Kunersdorf zu verhindern, landet er bei seiner Rückkehr auf einer toten und menschenleeren Erde.

Diesem von der Chaosmathematik postulierten Effekt der unabsehbaren Eskalation scheinbar geringfügiger Ereignisse, in den 60er Jahren erstmals vom US-Meteorologen Edward N. Lorenz formuliert, verdankt auch "Butterfly Effect" seinen Namen. Die Grundidee seiner Story schöpft der Film von Eric Bress und Jonathan Mackye Gruber wie so viele Zeitreisefilme vor ihm aus dem Gedankenkonstrukt, die eigene Gegenwart mittels Ungeschehenmachen der Vergangenheit korrigieren zu können. Für die gleiche Situation eine zweite oder dritte Chance zu bekommen, alles noch einmal auf Null setzen und neu starten zu dürfen - wie schon Tom Tykwer in "Lola rennt", Gregory Hoblit in "Frequency", Harold Ramis in "Groundhog Day" oder Jack Sholder in "12:01" nehmen sich Bress und Gruber einer der ältesten Wunschphantasien des Menschengeschlechts an, die sich in der ach so alltäglich, aber beinahe allumfassenden Frage niederschlägt: Was wäre, wenn?

Daß solch allmächtig scheinende Veränderung der Vergangenheit in ihrer literarischen und Spielfilm-Behandlung immer vor Brüchen, Paradoxien, Verkürzungen und auch blühendem Unsinn strotzen muß, ist längst vor der Lektüre oder der Betrachtung klar. Denn nur eine einzige Korrektur des Geschehenen würde unermeßlich viele neue Folgen bedingen. Die verursachende Figur wäre in mindestens zwei Paralleluniversen zu Hause und müßte mit zwei Gedächtnissen leben. Genau hieran knabbert auch die Hauptfigur des Films, der Psychologiestudent Evan Treborn, den der darstellerisch dummerweise mittelschwer unterbelichtete Ashton Kutcher durchweg mit der Lizenz zur Einfältigkeit darbietet.

In "Butterfly Effect" ist gegenüber vergleichbaren Vorgängern vor allem die Art und Weise der Zeitreise, derer sich der tragische Protagonist befleißigt, von Interesse: Statt sich als komplette Person durch die Zeit zu transferieren oder wie in Hoblits "Frequency" Funknachrichten zu übermitteln besitzt er die Fähigkeit, seinen Geist in sein um viele Jahre jüngeres Alter Ego zu versetzen, welches dann - ausgestattet mit dem Bewußtsein, dem Wissen und der Erfahrung des älteren Ichs - für kurze Zeit in die Lage versetzt wird, in längst vergangene Handlungsabläufe einzugreifen.

Gegenüber dem phantasievollen und warmherzigen "Frequency" nimmt das Zeitreise-Thema im inhaltlich sehr ähnlich angelegten "Butterfly Effect" trotz eines sehr romantischen Subplots um eine ewige und scheinbar unerfüllbare Liebe zweier Heranwachsender äußerst finstere Gestalt an. Noch bevor überhaupt das erste Mal phantastische Elemente zum Tragen kommen, tauchen Bress und Gruber ihre Hauptfiguren in einen düsteren Sumpf des urbanen Schreckens: Der Vater des elfjährigen Evan sitzt als mörderischer Psychopath in einer forensischen Klinik ein, der Vater seiner besten Freundin Kayleigh betreibt mit seinen eigenen Kindern perverse pädophile Spiele, und Kayleighs Bruder ist ein ausgemachter Sadist. Von der ersten Minute an erwartet der Zuschauer stets das Schlimmste - eine Grundstimmung, die sich das Filmemacher-Duo bei seinem eigenen Script für "Final Destination 2" abgeguckt hat. Das tritt dann auch ein, als die Jugendlichen mit einem typischen Dummen-Jungen-Streich einen entsetzlichen Unfall auslösen, der ihre Lebenswege nachhaltig verbiegen und auseinander führen soll.

Erst Jahre später entdeckt Evan, inzwischen Psychologiestudent, an sich die Fähigkeit, sein Bewußtsein mit Hilfe alter Tagebücher zurück durch die Zeit zu beamen, und ergreift die Gelegenheit beim Schopf, die fatalen Ereignisse von einst ungeschehen zu machen - eine Konstellation, die sicherlich nicht ganz zufällig an Stephen Kings Erfolgsroman "It" erinnert: Auch hier beeinflußt ein schauderhaftes Kindheitserlebnis den Lebensweg einer Gruppe von Erwachsenen, die sich erst nach einer Wiederholung von dessen traumatischem Einfluß befreien können. Doch Evans Versuche, den Verlauf von menschlichen Schicksalen nach seinem Willen zu modifizieren, hat fatale Folgen: Wie in Max Frischs 1968 uraufgeführtem Theaterspiel "Biographie" hat nämlich nicht nur der zeitreisende Protagonist - bei Frisch ist es der Verhaltensforscher Kürmann - beim zweiten Versuch noch einmal die gleiche Entscheidungsfreiheit, sondern alle anderen Personen auch, was bei jedem Eingriff in die Vergangenheit zu noch größerem und schlimmerem Chaos führt und Evans Welt Stück für Stück aus den Fugen geraten läßt. Es ist, als wollte "Butterfly Effect" dem Zuschauer mit seinem jedes Mal ausbalancierten Gleichgewicht des Schreckens den ersten Hauptsatz der Thermodynamik einhämmern: Die eine Rettung setzt an anderer Stelle neues Unheil frei, ein verlängertes Leben kostet ein anderes, und immer scheint das Glück ein verspielter Gewinn zu sein. Erzählerisch hält "Butterfly Effect" das auferlegte Tempo durch, der Film nutzt das Klischee der Zeitreise, um ihm gefährliches Leben einzuhauchen.

Eric Bress und Jonathan Mackye Gruber, das wird sehr schnell klar, haben bei allem gelungenen Thrill mit "Butterfly Effect" einen unglaublichen quantenphysikalischen Quatsch zusammengeschrieben. Da schlackert's derart vernehmlich im Raum-Zeit-Kontinuum, daß man geneigt ist, Robert Zemeckis' "Back to the future"-Trilogie als Lehrstück in Relativitätstheorie in den Lehrplan naturwissenschaftlicher Hochschulen aufzunehmen. Dennoch gelingt es dem Regie-Duo, seinem wirren Zeitreise-Potpourri einige wirklich morbide und verstörende Momente abzugewinnen. Hinzu kommt eine gehörige Portion bitterbösester schwarzer Humor: Die Schadenfreude, mit der man Evan dabei begleitet, während seiner transdimensionalen Trial-and-Error-Versuche von einer verschlimmbesserten Katastrophen-Gegenwart in die nächste zu rutschen, grenzt stellenweise bereits an Zynismus. Den Darstellern, selbst Nicht-Schauspieler Kutcher, kann eine durchaus passable Leistung bescheinigt werden, und der stellenweise markerschütternde Soundtrack insbesondere in den Schocksequenzen leistet seinen Beitrag für ein trotz aller himmelschreiender Unlogik gepflegtes Gruselbehagen.

Vermutlich hätte "Butterfly Effect" ein richtig feiner, kleiner und böser Mystery-Thriller - ganz im Stil seines (wenn auch ungleich viel besseren) Alter Egos "Donnie Darko" - werden können, hätte Gruber und Bress nicht im Finale der Mut verlassen. Anstatt den tragischen Helden endgültig in das selbst entfesselte Verderben abstürzen zu lassen und damit die Kernbotschaft des Films, beim Zeitreisen doch bitte auf die Nebenwirkungen zu achten, noch einmal zu unterstreichen, beraubt sich "Butterfly Effect" durch einen etwas sentimentalen, aber nicht wirklich tragischen Schlußakkord seines zuvor so konsequent durchgehaltenen fatalistischen Grundtenors: Es gibt keinen Ausweg aus der Hölle, und wenn man die Fähigkeit besitzt, Gott zu spielen, ereilt sie einen nur noch schneller.

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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.

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