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Kino - dafür werden Filme gemacht

Die Bourne Verschwörung

Gesehen am 26.08.2004 im Cinemaxx Hannover (Presse-Vorführung, OV)

Kinostart: 21.10.2004

Kritik von Johannes Pietsch

Anno 1975 verlor die CIA auf der Kinoleinwand ihre Unschuld. In Sidney Pollacks "Die drei Tage des Condor" sah sich ein unbedarfter Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes urplötzlich in eine blutige Mordintrige verwickelt, in der die eigenen Leute ihm nach dem Leben trachteten. Es war die gleiche Zeit, in der die Central Intelligence Agency auch in der Öffentlichkeit erstmals massiv Negativschlagzeilen einstecken musste: Eine Enthüllungsserie in der New York Times förderte den Verdacht der Beteiligung des Geheimdienstes an der Watergate-Affäre, und der amerikanische Senat sah sich gezwungen, mit dem Church Committee und dem Pike Commitee zwei Untersuchungsausschüsse einzusetzen, die zahlreiche Gesetzesverstöße und dunkle Geschäfte (unter anderem verbotene Drogen-Experimente) aufdeckte.

Das Paranoia-Motiv vom allmächtigen Geheimdienst als unkontrollierbarem Moloch, der statt Leib und Gut der eigenen Bevölkerung zu schützen lieber finstere Ränkespiele betreibt, krakenhaft seine Arme in alle Bereiche der Politik und des öffentlichen Lebens ausstreckt und gedungene Mörder auf unliebsame Zeugen und Quertreiber hetzt, zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch Film und Literatur. In Sam Peckinpahs "Osterman Weekend" (1983), Andrew Davis' "Chain Reaction" (1996) und Tony Scotts "Enemy of the state" (1998) gerät stets ein Einzelner dem organisierten Interesse der Sicherheitsbehörde in die Quere. In Renny Harlins "Long Kiss Goodnight" (1996) erkennt eine von Amnesie geplagte Lehrerin, daß sie in Wirklichkeit eine vom Geheimdienst ausgebildete Killerin ist, und muß sich gegen die eigenen Ex-Kollegen zur Wehr setzen, und in Tony Scotts "Spy Game" (2001) erreicht ein alternder CIA-Agent (Robert Redford) nur durch Insubordination, daß ein junger Kollege (Brad Pitt) nicht von den eigenen Vorgesetzten übergeordneten politischen Interessen geopfert wird.

Robert Ludlums 1980 erschienener Roman "Bourne Identity" (in Deutschland ursprünglich unter dem Titel "Der Borowski Betrug" zu lesen) über den CIA-Killer Jason Bourne, der nach einem fehlgeschlagenen Einsatz ohne Gedächtnis erwacht und sich auf die Suche nach seiner Vergangenheit macht, stellt ein Paradebeispiel dieser Paranoia-Geschichten dar. Neben einer ersten Verfilmung von 1988 fürs TV (mit dem unsäglichen Richard Chamberlain in der Titelrolle) dürfte das Buch auch für Harlins "Long Kiss Goodnight" und viele weitere Verfilmungen mit ähnlichem Thema Pate gestanden haben. Als sich anno 2002 mit "Bourne Identity" eine weitere Verfilmung des Originalstoffes ankündigte, diesmal mit Matt Damon an Stelle des Berufs-Softies Chamberlaine, stöhnte insbesondere das Ludlum-belesene Kinopublikum in der Erwartung ausgerechnet des Milchbubi-Gesichts aus "Goodwill Hunting" und "Legend of Bagger Vance" in der Rolle dieses knallharten Hitmans (für den man sich als Leser in den 80ern vor allem James Woods gewünscht hätte!) kollektiv auf. Überraschenderweise erwies sich Doug Limans sehr lose an das Buch angelehnte Adaption aber als ungewöhnlich spannend und zeitgemäß inszenierte Variante des Ludlum-Stoffes und konnte zudem mit einem Hauptdarsteller aufwarten, der - obwohl völlig gegen den Strich besetzt - in jeder Nuance als veritabler Action-Darsteller überzeugte.

Nun kommt die auf Grund des "Identity"-Erfolgs nur konsequente Fortsetzung "The Bournce Supremacy" in die Kinos. Wiederum fußt die Handlung nur noch in Nuancen auf der Vorlage des Ludlumschen Roman-Sequels "Die Borowski-Herrschaft": Ex-Agent Jason Bourne (Matt Damon) hat sich nach der finalen Konfrontation mit seinem Ausbilder Alexander Conklin (Chris Cooper) in Paris am Ende des ersten Teils zusammen mit seiner Freundin Marie (Franka Potente) an einen abgeschiedenen Winkel der Welt zurückgezogen. Doch die Vergangenheit holt den einstigen CIA-Profi, der nach wie vor sein Gedächtnis nur bruchstückhaft zurückgewonnen hat, brutal in Gestalt des russischen Killer-Kollegen Kirill (Karl Urban) wieder ein. Zeitgleich kommen auch bei der CIA die Dinge wieder ins Rollen: Bei einer fehlgeschlagenen Operation in Berlin sterben zwei Agenten, und als am Tatort Jasons Bournes Fingerabdrücke gefunden werden, beginnt man, in der CIA-Zentrale von Langley unangenehme Fragen nach der offiziell längst beerdigten Operation Treadstone zu stellen.

"Bourne Supremacy" stellt den absolut seltenen Glücksfall dar, als Fortsetzung eines an sich schon sehr guten Films den Vorgänger noch zu übertreffen. Das wiederum von Tony Gilroy ("Devil's Advocate", "Proof of Live") verfaßte Drehbuch hetzt den einsamen Wolf Jason Bourne noch atemloser um den halben Erdball, um einerseits seinen mörderischen Häschern zu entkommen und zugleich die finsteren Machenschaften aufzudecken, welche zu seiner Enttarnung führten und ihn erneut ins Fadenkreuz von Polizei, Geheim- und Sicherheitsdiensten geraten ließen.

Der im Kino bislang wenig in Erscheinung getretene Regisseur Paul Greengrass verpaßte der fesselnden Agenten-Hatz einen wesentlich düsteren Anstrich als Vorgänger Doug Liman dem ersten Teil. Seine Hetzjagd hat rein gar nichts von dem Glamour, der Eleganz, der Artistik und der Nonchalance der Einsätze des britischen Kollegen seiner Majestät mit der Doppelnull. Bei Paul Greengrass sind Verfolgsjagden, Zweikämpfe, Schießereien und Auto-Karambolagen schnell, ungeschönt, hart und schmerzhaft. Schon der Eröffnungs-Fight gegen einen Ex-Kollegen in München (den man als Kenner des ersten Teils nur zu gut aus dem Finale in Paris in Erinnerung hat) ist in seiner brutalen und schonungslos naturalistischen Darstellung bemerkenswert.

Überhaupt kann sich die Action in "Bourne Supremacy" mehr als sehen lassen. Altmodische Autoverfolgungsjagden Marke "French Connection", und Kugelhagel wechseln sich mit einfallsreichen Stunts und schweißtreibenden Körpereinsätzen der Protagonisten ab. Verwaschene Bildgebung und verwackelte Handkameraszenen geben den temporeichen Action-Sequenzen zusätzlichen Schub. Das adrenalintreibende Halali auf den aufsässigen Ex-Agenten dürfte dabei - da zu einem großen Teil in den Babelsberger Studios gedreht und mit viel Berliner Lokalkolorit inklusive einer Demonstration gegen die Globalisierung aufgepeppt - vor allem deutschen Zuschauern eine Menge Spaß bereiten.

Noch ideenreicher sind die technischen Tricks, mit denen Jason Bourne seine Gegner - häufig aus der Improvisation des Augenblicks heraus - übertölpelt. Doch es sind eben nicht nur die technischen Gimmicks, mit denen die Kampfmaschine Jason Bourne seinen Gegenspielern immer und immer wieder ein Schnippchen schlägt: Häufiger noch als in Teil eins und insbesondere im rauhen Finale wird das Geschehen reduziert auf den atavistischen Kampf Mann gegen Mann. Die betont düstere und melodramatische Stimmung des Films wird noch unterstrichen durch einen Subplot, in dessen Rahmen Jason Bourne mit den Folgen seiner früheren Killer-Tätigkeit konfrontiert wird. Und obwohl diese Linie der Geschichte nun wahrlich nicht arm an ausgereizten Klischees daherkommt, gelingt Greengrass und Gilroy das bemerkenswerte Kunststück, im Kontext eines rasanten Agenten-Krimis kurzfristig große menschliche Tragik zu inszenieren, ohne dabei auch nur ansatzweise in schwülstige Kitsch-Untiefen zu versacken.

Auch Matt Damons überzeugendes Spiel fügt sich nahtlos in dieses Geschehen ein. Noch immer kennt dieser Jason Bourne seine Vergangenheit kaum, kann nur bruchstückhaft und auf Grund einiger in Form von Flashbacks zurückerhaltener Erinnerungsfetzen erahnen, welche Verbrechen er einst als "30 Millionen teure Superwaffe" der CIA begangen hat und bietet somit für den Zuschauer kaum psychologische Tiefe. Und dennoch fühlt man in jeder Szene dieses verhärmt, verbittert und deprimiert schauenden Jungen-Gesichts mit, so wie man eben eine Empfindung hegte für die Androiden in Ridley Scotts "Blade Runner". Als Bourne der jungen Angehörigen zweier ehemaliger Opfer gegenüber steht, wirkt er wie Frankensteins Monster, welches dem kleinen Mädchen Blumen pflückt, während der Zuschauer rätselt, ob er sein Gegenüber töten, sie um Verzeihung bitten oder sich selbst das Leben nehmen wird.

Ein paar kleine Negativpunkte muß sich allerdings auch "Bourne Supremacy" gefallen lassen. Betrachtet man Handlungs- und Spannungsaufbau sowie die Rollen einiger handelnder Personen, so ergeben sich ein paar zu viele Déjà-vú-Eindrücke aus dem Gesehenen des ersten Teils. Bournes Kampf gegen seinen ehemaligen Kollegen, die sehr deutlich an Frankenheimers "Ronin" angelehnte Autoverfolgungsjagd (diesmal durch Moskau statt durch Paris), der reichlich sinnlos wirkende Kurzauftritt der sträflich unterbeschäftigten Julia Stiles, das alles sah man in "Bourne Identity" exakt genauso. Dafür bekommt der wunderbare Brian Cox, der im ersten Teil als Chef des Bourne-Ausbilders Alexander Conklin viel zu wenige Szenen hatten, einen wesentlich breiter und interessanter angelegten Part sowie in Gestalt der großartigen Charakterdarstellerin Joan Allen eine kongenial besetzte Gegenspielerin.

Wie schon dem ersten Teil gelingt "Bourne Supremacy" ist die längst überfällige Frischzellenkur für die in den 90ern beinahe schon ausgestorben geglaubte Gattung des Spionagefilms. Ein dicht gewirktes Katz- und Mausspiel in straffer Inszenierung, das als Verfolgungsreißer sein Klima gegenseitiger Belauerung über zwei Stunden in druckvolle Unterhaltung ummünzt. Es ist Greengrass' Sensibilität für Zwischentöne zu verdanken, daß die Story nicht ähnlich der meisten zeitgenössischen Action-Produktionen zur üblichen sportiven Affäre reduziert wird, deren pyrotechnisch aufgeblähter Aktionismus ihre einzige Raison d'etre ist. Verglichen mit all jenen trägen, völlig überbudgetierten, seelenlosen und sich selbst ungeheuer wichtig nehmenden Action- und Agentenfilmen wie Phil Robinsons "Sum of all fears" mit Matt Damons Busenkumpel Ben Affleck in der Hauptrolle oder Michael Bays Drestruktionsorgie "Bad Boys 2" wirkt "Bourne Supremacy" spontan und lebendig, so, als hätte sich einer die Freiheit genommen, an den Gesetzen des Marktes vorbeizuproduzieren.

Robert Ludlum hat insgesamt drei Romane über seinen "Agenten ohne Namen" verfaßt. Nach den beiden gelungenen Bourne-Verfilmungen sollte einem dritten Teil des erfolgreichen Franchise nichts mehr im Wege stehen.

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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.

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