Das Paranoia-Motiv vom allmächtigen Geheimdienst als unkontrollierbarem Moloch, der statt Leib und Gut der eigenen Bevölkerung zu schützen lieber finstere Ränkespiele betreibt, krakenhaft seine Arme in alle Bereiche der Politik und des öffentlichen Lebens ausstreckt und gedungene Mörder auf unliebsame Zeugen und Quertreiber hetzt, zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch Film und Literatur. In Sam Peckinpahs "Osterman Weekend" (1983), Andrew Davis' "Chain Reaction" (1996) und Tony Scotts "Enemy of the state" (1998) gerät stets ein Einzelner dem organisierten Interesse der Sicherheitsbehörde in die Quere. In Renny Harlins "Long Kiss Goodnight" (1996) erkennt eine von Amnesie geplagte Lehrerin, daß sie in Wirklichkeit eine vom Geheimdienst ausgebildete Killerin ist, und muß sich gegen die eigenen Ex-Kollegen zur Wehr setzen, und in Tony Scotts "Spy Game" (2001) erreicht ein alternder CIA-Agent (Robert Redford) nur durch Insubordination, daß ein junger Kollege (Brad Pitt) nicht von den eigenen Vorgesetzten übergeordneten politischen Interessen geopfert wird.
Nun kommt die auf Grund des "Identity"-Erfolgs nur konsequente Fortsetzung "The Bournce Supremacy" in die Kinos. Wiederum fußt die Handlung nur noch in Nuancen auf der Vorlage des Ludlumschen Roman-Sequels "Die Borowski-Herrschaft": Ex-Agent Jason Bourne (Matt Damon) hat sich nach der finalen Konfrontation mit seinem Ausbilder Alexander Conklin (Chris Cooper) in Paris am Ende des ersten Teils zusammen mit seiner Freundin Marie (Franka Potente) an einen abgeschiedenen Winkel der Welt zurückgezogen. Doch die Vergangenheit holt den einstigen CIA-Profi, der nach wie vor sein Gedächtnis nur bruchstückhaft zurückgewonnen hat, brutal in Gestalt des russischen Killer-Kollegen Kirill (Karl Urban) wieder ein. Zeitgleich kommen auch bei der CIA die Dinge wieder ins Rollen: Bei einer fehlgeschlagenen Operation in Berlin sterben zwei Agenten, und als am Tatort Jasons Bournes Fingerabdrücke gefunden werden, beginnt man, in der CIA-Zentrale von Langley unangenehme Fragen nach der offiziell längst beerdigten Operation Treadstone zu stellen.
Der im Kino bislang wenig in Erscheinung getretene Regisseur Paul Greengrass verpaßte der fesselnden Agenten-Hatz einen wesentlich düsteren Anstrich als Vorgänger Doug Liman dem ersten Teil. Seine Hetzjagd hat rein gar nichts von dem Glamour, der Eleganz, der Artistik und der Nonchalance der Einsätze des britischen Kollegen seiner Majestät mit der Doppelnull. Bei Paul Greengrass sind Verfolgsjagden, Zweikämpfe, Schießereien und Auto-Karambolagen schnell, ungeschönt, hart und schmerzhaft. Schon der Eröffnungs-Fight gegen einen Ex-Kollegen in München (den man als Kenner des ersten Teils nur zu gut aus dem Finale in Paris in Erinnerung hat) ist in seiner brutalen und schonungslos naturalistischen Darstellung bemerkenswert. Überhaupt kann sich die Action in "Bourne Supremacy" mehr als sehen lassen. Altmodische Autoverfolgungsjagden Marke "French Connection", und Kugelhagel wechseln sich mit einfallsreichen Stunts und schweißtreibenden Körpereinsätzen der Protagonisten ab. Verwaschene Bildgebung und verwackelte Handkameraszenen geben den temporeichen Action-Sequenzen zusätzlichen Schub. Das adrenalintreibende Halali auf den aufsässigen Ex-Agenten dürfte dabei - da zu einem großen Teil in den Babelsberger Studios gedreht und mit viel Berliner Lokalkolorit inklusive einer Demonstration gegen die Globalisierung aufgepeppt - vor allem deutschen Zuschauern eine Menge Spaß bereiten.
Auch Matt Damons überzeugendes Spiel fügt sich nahtlos in dieses Geschehen ein. Noch immer kennt dieser Jason Bourne seine Vergangenheit kaum, kann nur bruchstückhaft und auf Grund einiger in Form von Flashbacks zurückerhaltener Erinnerungsfetzen erahnen, welche Verbrechen er einst als "30 Millionen teure Superwaffe" der CIA begangen hat und bietet somit für den Zuschauer kaum psychologische Tiefe. Und dennoch fühlt man in jeder Szene dieses verhärmt, verbittert und deprimiert schauenden Jungen-Gesichts mit, so wie man eben eine Empfindung hegte für die Androiden in Ridley Scotts "Blade Runner". Als Bourne der jungen Angehörigen zweier ehemaliger Opfer gegenüber steht, wirkt er wie Frankensteins Monster, welches dem kleinen Mädchen Blumen pflückt, während der Zuschauer rätselt, ob er sein Gegenüber töten, sie um Verzeihung bitten oder sich selbst das Leben nehmen wird.
Wie schon dem ersten Teil gelingt "Bourne Supremacy" ist die längst überfällige Frischzellenkur für die in den 90ern beinahe schon ausgestorben geglaubte Gattung des Spionagefilms. Ein dicht gewirktes Katz- und Mausspiel in straffer Inszenierung, das als Verfolgungsreißer sein Klima gegenseitiger Belauerung über zwei Stunden in druckvolle Unterhaltung ummünzt. Es ist Greengrass' Sensibilität für Zwischentöne zu verdanken, daß die Story nicht ähnlich der meisten zeitgenössischen Action-Produktionen zur üblichen sportiven Affäre reduziert wird, deren pyrotechnisch aufgeblähter Aktionismus ihre einzige Raison d'etre ist. Verglichen mit all jenen trägen, völlig überbudgetierten, seelenlosen und sich selbst ungeheuer wichtig nehmenden Action- und Agentenfilmen wie Phil Robinsons "Sum of all fears" mit Matt Damons Busenkumpel Ben Affleck in der Hauptrolle oder Michael Bays Drestruktionsorgie "Bad Boys 2" wirkt "Bourne Supremacy" spontan und lebendig, so, als hätte sich einer die Freiheit genommen, an den Gesetzen des Marktes vorbeizuproduzieren. Robert Ludlum hat insgesamt drei Romane über seinen "Agenten ohne Namen" verfaßt. Nach den beiden gelungenen Bourne-Verfilmungen sollte einem dritten Teil des erfolgreichen Franchise nichts mehr im Wege stehen. |
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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.