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Kino - dafür werden Filme gemacht

Die Unberührbare

1. Okt 2001, Casablanca/Gasometer, Zwickau

Kritik von Enno Park

Eine Unberührbare war zu DDR-Zeiten die Schriftstellerin Gisela Elsner. Eine Frau, die den Arbeiter- und Bauernstaat predigte und dennoch mit "denen da unten" nicht zu tun hatte. Die Namensvetterin Hannelore Elsner verkörpert sie auf dem Weg von der Intellektuellen zum Psychowrack auf einmalige Weise.

Viele Stationen sind es, die die Autorin durchleiden muss, bis sie ganz unten ankommt. Zunächst ist sie eine äußerst elegante wenn auch in den 60ern hängengeblie-bende Intellektuelle mit dem Hauch einer Femme Fatale. Der eisige Blick der Systemmarxistin starrt unter der riesenhaften, kleopatra-artigen Perücke hervor, die zu ihrer Maskerade gehört. Denn hinter der Fassade ist sie eine zerrüttete Person. Einsam, ohne wahre Freunde, alkohol-, nikotin- und tablettensüchtig lebt sie in einem für DDR-Verhältnisse edlen Bungalow. Im Westen wird die einstmals erfolgreiche Autorin nicht mehr verlegt, im Osten wird sie solange hochgehalten, wie sie systemtreu ist. Ihr Weltbild ist alles, was ihre Conentenance noch beisammenhält.

Kettenrauchend sieht sie im Fern-sehen Menschen auf der Berliner Mauer tanzen. Mit dem System bricht ihr letzter Rückhalt zusammen. Was bleibt ist eine Odyssee, deren Stationen sie immer näher an den Abgrund führen. Sie verliert ihre Wohnung und versucht für kurze Zeit, in einem feuchten Loch unter tristen Plattenbauten zu suchen. Betonplatten und Arbeiterschließfächer sind nicht ihre Welt, auch nicht die Pommesbude und die Kneipe, in der die einfachen Leute ihren Kummer niedersaufen oder schlicht feiern. Ihren Elfenbeinturm kann sie innerlich nie verlassen, bleibt mit ihrem Dior-Mantel ein Fremdkörper, wo immer sie auftaucht. Mit diesen Menschen in billigen Jeansjacken und Trainingshosen zusammen-leben - nein, da steht sie sich selber im Wege. Sie, die immer den Arbeiter- und Bauerstaat propagiert hat, ist zutiefst bourgois.

Natürlich stößt sie bei ihren alten intellektuellen Freunden auf offene, oder verdeckte Ablehnung. Natürlich schafft sie es nicht, über ihren eigenen Schatten zu springen und mit Würde am Leben derer teilzunehmen, die sie offen dazu einladen, mit denen sie jedoch nichts gemein hat, die für sie eine Unterschicht darstellt, die sie bei allem Sozialismus-Getue im Grunde verachtet hat. Weitere Stationen sind das großbürgerliche Heim ihrer Eltern, wo sie auf eine Mischung aus Elternliebe und Ablehnung stößt. Dann ein alter Freund, mit dem sie ein neues Leben beginnen könnte, wenn er nicht ebenfalls ein Alkoholwrack wäre, dessen Leber eher heute als morgen kollabiert.

Was bleibt, sind verzweifelte Versuche, an Geld zu kommen, immer noch mehr Alkohol, immer noch mehr Zigaretten, immer noch mehr Tabletten. Bis sie zusammen-bricht und sie in psychiatrische Behandlung kommt, wo sie zuletzt so gezeigt wird, wie sie ist, eine einsame, kleine Frau, unter einer riesigen, kalten Wand sitzt und die Uhr anstarrt, das Ticken der Zeiger jedoch nicht aufhalten kann. Wahre Einsicht ist nicht von ihr zu erwarten, das Kämpfertum, ein neues Leben zu beginnen, erst recht nicht. Folgerichtig bleibt ihr nichts als der Freitot, den sie sich so lapidar gibt, wie sie sonst eine Zigarrette anzünden würde.

Regisseur Oskar Röhler setzt dieses Portrait in kontrastreichen Schwarzweißaufnahmen ins Bild. Sonst ein Manierismus, ein Stilmittel, mit dem man versucht einem Film etwas künstlierisches zu verleihen, ist hier die Art und Weise, wie die harten Kontraste Menschen zu Schatten und Gesicher zu zerklüfteten Landschaften machen, die bestmögliche Weise, die Zerrissenheit der Person auch in der äußeren Form von fast expressionistischen Bildern zu zeigen. Handlung, Figuren, Schauplätze stimmen, interessieren aber nicht weiter. Was zählt, ist der Blick fürs Bild aber vor allem das erstklassige Spiel Hannelore Elsners, die die Rolle mit jedem Wimpernzucken und mit jeder noch so kleinen Bewegung hunderprozentig lebt. "Die Rolle ihres Lebens" schreiben viele - dem möchte ich mich anschließen.

"Die Unberührbare" zeigt den langsamen Niedergang eines Menschen, der nicht er selber ist, sondern sich über irgendetwas definierten muss, um sein zu können. Es ist ganz sicher kein Unterhaltungsfilm, hat ganz sicher ein paar Längen und ist schwer verdaulich - Menschen, die eine Depression erleiden, sollten sich wirklich überlegen, ob sie sich diesen Film antun möchten.

Deutschland 2000, 100 min
mit Hannelore Elsner, Nina Petri, Lars Rudolph, Jasmin Tabatabai
Regie: Oskar Röhler

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Diese Kritik ist die Meinung von Enno Park.

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