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Kino - dafür werden Filme gemacht

Spy Game

"Residenz" Bückeburg (06.03.2002)

Kritik von Johannes Pietsch

Tony Scott, der sich 1983 mit dem Vampir-Mystical "The Hunger" und 1986 mit dem Pentagon-Werbefilm "Top Gun" zu höheren Kinoehren aufschwang, ist ein Meister des aalglatten, kreativen Recyclings. In "True Romance" verarbeitete er David Lynchs "Wild at heart" zu einem schnittigen neuen Hochglanzprodukt, in "Crimson Tide" verhackstückte er Motive aus "Angriffsziel Moskau" zu einem "Meuterei auf der Bounty"-Plot unter Wasser. Und John McTiernans "Die Hard" dürfte trotz inhaltlicher Unterschiede Pate zu "Last Boy Scout" gestanden haben. Seine erfolgreichste Regiearbeit lieferte der Bruder von Ridley Scott 1998 ab, als er sich das Grundthema aus Francis Ford Coppolas "Dialog" vornahm und zu dem hypnotisch-rasanten Paranoia-Thriller "Enemy of the state" verdichtete.

In seinem neuen Film "Spy Game" hat sich Scott gegenüber dem hyperschnellen, herzkammerflimmernden "Enemy" etwas zurückgenommen, präsentiert sich abgeklärter, ruhiger, besonnener, wie ein Regisseur, der sich nach einem erfolgreichen Blockbuster zurücklehnen und Filmhandlung und Figuren laufen lassen kann. Und das tut er auf für ihn absolut unkonventionelle Art: Steigerte sich beim hektischen "Enemy" die Handlung ununterbrochen bis zum atemlosen Herzschlagfinale, so zäumt er hier das Pferd von hinten auf, unterbricht chronologisch angeordnete Abschnitte einer Rahmenhandlung mit ausschweifenden Rückblenden, die nur zum Teil der Erklärung und der Illustration der Kernthemas dienen.

Wieder entführt uns Tony Scott in die Welt der Spione, des Täuschens und des Tarnens, der verdeckten Missionen, der Verschwörungen, Intrigen und der Sabotage. Die Zeichnung der Charaktere bleibt dabei stets oberflächlich, glatt und unterkühlt, genauso wie der Zuschauer nie mit wirklichem Herzen in das Geschehen gezogen, sondern stets auf eine eigentümlich unpersönliche Distanz zum Schicksal der Figuren gehalten wird. Wir begegnen Personen aus dem tiefsten Klischee-Reservoir des Thriller- und Spionagefilms: Zentrale Figur ist Nathan Muir, ein Agent alter Schule, ein Falke aus der Zeit, in der man noch wusste, wo der Feind stand, die Grenze verlief und der gegnerische Agent lauerte.

Muir ist ein Spionage-Profi reinsten Wassers, abgebrüht, erfahren, mit allen Wassern gewaschen, ein Typ vom Schlage eines Sam McCready, wie ihn Frederick Forsyth in "The Deceiver" beschrieb, oder von der Statur von Colin Forbes' Tweed, ein kühler, berechnender Taktiker, der Menschen wie Schachfiguren verschiebt, um sie im Widerstreit der Mächte stets an der entscheidenden, weil vorteilbringenden Position zu platzieren. Robert Redford gibt diesen Veteran alter Agenten-Schule als souveränes, abgeklärtes und gereiftes Alter Ego seines Joe Turner aus Sidney Pollacks "Three Days of the Condor".

Doch man schreibt nicht mehr 1975, sondern das Jahr 1991, und es ist die Zeit, als die seit Jahrzehnten festzementierten Freund-Feind-Linien verschwimmen, sich politische und ideologische Machtblöcke auflösen und die festgefügte Weltordnung des Kalten Krieges bedeutungslos wird. In der neuen Weltordnung, in der die Schurken auf einmal nicht mehr Brechnjew, Honecker und Chomeini, sondern Saddam Hussein und Radovan Karadzic heißen, in der aus ehemaligen Todfeinden aus Gründen der politisch-ökonomischen Raison und des wirtschaftlichen Profits auf einmal Verhandlungspartner werden, ist kein Platz mehr für das altgediente Spionage-Schlachtross.

Doch ausgerechnet an seinem letzten regulären Arbeitstag muß der angehende Ruheständler erfahren, dass der junge Agent Tom Bishop (Brad Pitt), den er selbst einst anwarb und ausbildete, beim Befreiungsversuch eines Häftling in einem chinesischen Gefängnis verhaftet wurde und in wenigen Stunden hingerichtet werden soll. Und auf einmal muß Alt-Agent Muir in einem Globus-umspannenden Katz-und-Maus-Spiel noch einmal all sein Können, all seine Raffinesse und alle Fähigkeiten seiner jahrzehntelangen Erfahrung aufbieten, um den jugendlichen Hotspot vor dem Genickschuss zu bewahren.

Das Motiv vom erfahrenen Profi, der kurz vor dem Karriere-Ende noch einmal zu Hochform auflaufen muß, ist ein ebenso häufig bemühtes Klischee wie die einsame Konstellation des Helden, der wie schon in "Three Days of the Condor" im Ränkespiel der Mächte gegen die eigenen Reihen antreten muß. Nur sind es diesmal keine feindlich gesonnenen Maulwürfe oder Doppelagenten, sondern schlicht die Doktrin der neuen Weltordnung, zugunsten derer die CIA-Chefetage und ihre bürokratisch-unterwürfige Mitläuferschaft den in der Ferne vom Tode bedrohten eigenen Mann längst aufgegeben haben.

Brad Pitt wird in dieser Plotstruktur nur während der Rückblenden, die in drei Abschnitten von der Rekrutierung Bishops und seinen Einsätzen unter Führung Muirs erzählen, die Rolle des jüngeren Parts eines Meister-Schüler-Gespanns zuteil, so wie er es ganz ähnlich in Finchers "Se7en" verkörperte. In der Rahmenhandlung ist er jedoch nichts weiter als ein McGuffin, ein austauschbares Objekt der Begierde, um das sich die Bemühungen seines Mentors und Ausbilders drehen. Genauso sind seine chinesischen Kerkermeister als gegnerische Figuren ebenso gesichtslos wie austauschbar. Der zentrale Konflikt des Films ist der Widerstreit des Agenten Muir mit dem Establishment des eigenen Systems, dessen Schritt in die neue Weltordnung auf Kosten eines Lebens er nicht zu mitzugehen bereit ist.

Es ist der archaische, nie enden wollende Kampf Alt gegen Jung, Old-School gegen Greenhorne, Erfahrung gegen Bürokratie, Professionalität gegen Scheuklappen, Bauernschläue gegen Engstirnigkeit, Entschlossenheit gegen Resignation und Tatkraft gegen Obrigkeitsdenken. Wie Muir die eigenen Leute ein ums andere Mal ausmanövriert, überlistet und an der Nase herumführt und dabei gnadenlos für die eigenen Zwecke instrumentalisiert, das hat durchaus narrative Finesse, ist nicht unbedingt übermäßig spannend (da zu vorhersehbar) und schon gar nicht besonders realistisch, aber kurzweilig, hintergründig und sehr ironisch erzählt. Tony Scott, der schon in "Enemy of the state" aus seiner Verachtung für die Geheimdienste keinen Hehl machte, stilisiert die CIA zu einem trägen Moloch verblödeter und tölpelhafter Bürokraten.

Wegen der ausufernden Rückblenden und der zurückhaltend inszenierten, zum Schluss nur noch epiloghaften Rahmenhandlung wirkt Tony Scotts Film kaum wie ein konventioneller, stringenter Spannungsreißer, sondern mehr wie ein Kaleidoskop, ein Bilderbuch voller Reminiszenzen an die "gute alte Zeit", als Agenten noch richtige Männer waren und keine Schreibtischhelden in einem Bürogebäude in Langley, West Virginia. Visuell arbeitet Scott auf gewohnt hohem ästhetischen Niveau, verwendet mit radikaler Geschwindigkeit zoomende Luftaufnahmen ebenso wie Sprungschnitte, Bildmontagen und farbgefilterte Frozen Frames, in denen regelmäßig die noch verbleibende Zeit bis zur Hinrichtung Bishops eingeblendet wird, und erweist sich damit einmal mehr als König der Werbeästhetik.

In Action-Sequenzen verzichtet Scott fast völlig auf die visuelle Reizüberflutung seiner Bruckheimer-Filme. Ob bei den Kriegsszenen in Vietnam, einem von der CIA eingefädelten Bomben-Attentat in Beirut oder den Sequenzen im geteilten Berlin - die wenige Action fällt verhalten aus, verfremdet, abgedunkelt und aus ungewöhnlichen Perspektiven aufgenommen. Das Finale der Rahmenhandlung gerät für Scott geradezu antiklimatisch, gefilmt in abgedunkelten, abgehackt wirkenden und an die Berichterstattung eines Nachrichtensenders erinnernde Staccato-Aufnahmen. Tony Scotts Bilder in "Spy Game" sind wie das Spiel der Spione, wie das Menschenbild dieser Halbwelt, in der Personen als Spielfiguren mechanisch ausgetauscht, verschoben oder ausgeschaltet werden: Technisch, kalt, unnahbar und spröde. Genauso unpersönlich, wie das Verhältnis des Zuschauers zur Hauptfigur, deren emotionale Motive ebenso verhüllt bleiben wie seine gesamten persönlichen Verhältnisse: Zum Schluss braust Nathan Muir in seinem schwarzen Porsche den düpierten Ex-Geheimdienst-Kollegen davon. Das Ziel ist unbekannt. Denn kennen tut man Nathan Muir auch nach 126 Filmminuten nicht.

Besucher Nr. seit 24.03.2002


Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.

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