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Kino - dafür werden Filme gemacht

Paycheck

Gesehen am 08.01.2004 im Cinemaxx Hannover (Presse-Premiere)

Kritik von Johannes Pietsch

Der Lack ist endgültig ab. Wirkte die nahezu religiöse Verehrung, die dem aus Hongkong stammenden Regisseur John Woo von Seiten diverser Kulturbeflissenen lange Zeit entgegengebracht wurde, bereits in den 90er Jahren reichlich überzogen und albern, so ist sie jetzt schlicht und einfach nur noch peinlich. Fraglos inszenierte der Großmeister der theatralischsten Blut- und Blei-Opern der fernöstlichen Filmgeschichte, Komponist so legendärer Schusswaffengelage wie "A Better Tommorrow" oder "The Killer", während seiner Zeit in der ehemaligen Kronkolonie einige echte wegweisende und stilbildende Meilensteine des Heroic Bloodshed. Lange Zeit lag das gesamte westliche Kino vor dem Meister der martialisch auszelebrierten Gewaltorgien auf den Knien, von Martin Scorsese bis Quentin Tarantino erklärten ihn namhafteste Hollywood-Regisseure zu ihrem Vorbild. Doch seit seinem Wechsel nach Amerika setzte jeder weitere Streifen systematisch den Meißel an den Nimbus des bislang so hingebungsvoll hofierten Filmemachers. "Paycheck" macht da keine Ausnahme: Auch Woos neuester Film nach einer Science-Fiction-Story von Philipp K. Dick schreibt die sukzessive künstlerische Demontage des einstigen Über-Regisseurs fort.

In Hongkong hat John Woo die Stilisierung der Rituale des schießwütigen Actionkinos ins Extrem getrieben. Mit ihm und Regisseuren wie Johnnie To oder Ringo Lam stieß das Hongkong-Kino in nahezu allen Genres an eben jene ästhetischen Grenzen, die es mehr als zehn Jahre lang exzessiv ebenso ausgeweitet wie ausgeweidet hatte. Speziell mit John Woo kehrte der Stil des Samuraifilms zu seinen fernöstlichen Wurzeln zurück, nachdem er von Akira Kurosawa ausgehend nach Amerika gewirkt und dort vor allem das Werk Sam Packinpahs beeinflusst hatte, des Regisseurs, den John Woo nach wie vor als größtes Vorbild angibt. Woos 1985 gedrehter "City Wolf" gilt bis heute als erfolgreichster Martial-Arts-Film aller Zeiten, "The Killer" oder "Bullet in the head" waren Meisterwerke des heroischen, melodramatischen Action-Kinos, und mit dem wahnwitzigen Showdown im inhaltlich wesentlich oberflächlicheren, optisch aber nichtsdestotrotz furiosen "Hard boiled" stellte Woo sogar das legendäre Todesballett im Finale von Peckinpahs "Wild Bunch" in den Schatten.

Doch mit der Rückgabe der Kronkolonie an Rotchina wendete sich das Blatt: Die meisten großen Regisseure des Hongkong-Kinos wechselten Mitte der 90er Jahre nach Hollywood, wo sie nacheinander der künstlerischen Bedeutungslosigkeit anheim fielen. Als John Woo 1993 mit dem faden Jean-Claude-van-Damme-Vehikel "Hard Target" seinen ersten auf amerikanischem Boden gedrehten Streifen ablieferte, konnte man noch an ein kommerziell notwendiges Zugeständnis an die Billig-Bedürfnisse westlicher Action-Konsumenten glauben. Der allein auf Hochglanz getrimmte "Broken Arrow" mit Christian Slater und John Travolta ließ dann erste wirkliche Zweifel daran aufkommen, ob der Maestro der künstlerisch wertvoll inszenierten Verwüstung all seinen Können wirklich über den Pazifik habe herüberretten können. Mit dem großartigen "Face Off" hingegen erreichte John Woo beinahe wieder die Intensität seiner Hongkong-Werke.

Doch die Freude über die wiedererlangte Virtuosität des Meisters währte nicht lange: John Woos anno 2000 gedrehtes Sequel zu dem von Brian de Palmas initiierten "Mission Impossible"-Franchise setzte zwar sämtliche Naturgesetze der Physik außer Kraft und lieferte ohne den Spion seiner Majestät James-Bond-Sequenzen von geradezu sphärischer Schwerelosigkeit, erwies sich jedoch inhaltlich als aufgeplustertes Kirmeskino von abgrundtiefer Belanglosigkeit. Zu einem noch viel ärgerlicheren Missgriff geriet das ideologisch mehr als fragwürdige Weltkriegsgemetzel "Windtalkers". Von der peinlichen TV-Produktion "Blackjack" mit der Single-Gehirnzelle Dolph Lundgren in der Hauptrolle soll lieber gar nicht erst die Rede sein.

John Woos neuer Film reiht sich da trotz eines unzweifelhaft vorhandenen Unterhaltungsgehalts nahtlos ein in die Reihe seiner künstlerischen Offenbarungseide. Obwohl "Paycheck" ebenso wie "Blade Runner", "Total Recall" und "Minority Report" auf einer literarischen Vorlage des Meisters des surreal angehauchten Science Fiction Philipp K. Dick beruht, erreicht der Film nicht einmal annäherungsweise die erzählerische Brillianz und psychologische Tiefe dieser visionären Meisterwerke. Und das trotz einer nicht unintelligenten Grundidee: Im Jahr 2007 ist die Entwicklung von High-Tech-Produkten ein einträgliches Geschäft für abgebrühte Ingenieure geworden, die sich wie professionelle Söldner für einzelne Projekte engagieren lassen. Gelingt die Entwicklung einer neuen Technologie oder eines neuen Produkts, so winken astronomische Saläre, verbunden jedoch mit einer kleinen, aber entscheidenden Geschäfts-Modalität: Nach erledigtem Job muss der Auftragnehmer sich die Erinnerung an die gesamte Entwicklungszeit hirnoperativ löschen lassen, um sein hinzugewonnenes Wissen nicht anschließend meistbietend an die Konkurrenz seines Auftraggebers verscherbeln zu können.

Michael Jennings (Ben Affleck) ist ein solcher Development-Pofi, der im Auftrag von High-Tech-Riesen des 21. Jahrhundert hermetisch abgeschirmt von der Außenwelt die Technologien konkurrierender Unternehmen ausschlachtet, optimiert und daraus neue Produkte hervorzaubert. Als er jedoch einen über drei Jahre dauernden Mammut-Auftrag seines inzwischen zum Industrie-Tycoon aufgestiegenen Schulfreunds Rethrick (Aaron Eckhart) annimmt, geht eine Menge schief: Zwar sind nach Abschluss des Jobs seine Erinnerungen an die zurückliegenden drei Jahre perdu, genauso aber auch die 92 Millionen Dollar, die ihm zuvor vertraglich zugesichert worden waren. Wie nicht anders zu erwarten glaubt Jennings ebenso wie der Zuschauer zunächst an einen perfiden Wortbruch seines Auftraggebers. Umso entsetzter muss der um sein Geld und seine drei Jahre Lebenszeit geprellte jedoch feststellen, dass er persönlich vor Abschluss der Entwicklungsarbeiten und der Ausradierung aller damit verbundenen Erinnerungen die Annahme der Millionensumme ablehnte und sich selbst stattdessen einen Briefumschlag voller scheinbar völlig belangloser Alltagsgegenstände hinterließ. Im Fadenkreuz neugieriger FBI-Beamter und schießwütiger Schergen des offenkundig ebenfalls mit dem Ausgang des Auftrags vergleichsweise unzufriedenen Rethrick macht sich Jennings auf die Suche nach seiner Vergangenheit und damit nach dem, was er selbst in den ausgelöschten drei Jahren für Rethnick erbaute.

Ein Held ohne Gedächtnis, eine geheimnisvolle, futuristische Entwicklung und ein Netz aus undurchsichtigen Verfolgern, welches sich immer enger um die Hauptfigur zusammenzieht - was für einen grandiosen Mystery-Thriller hätte man aus dieser Grundkonzeption komponieren können. Doch der kaum zu fassende Dilettantismus von Drehbuchautor Dean Georgaris schlägt wirklich jegliches Potential von Philipp K. Dicks Kurzgeschichte in Trümmer. Als Äquivalent zu den surrealen Werken eines Franz Kafka oder eines Kurt Vonnegut wurden die Arbeiten des "Blade Runner"- und "Minority Report"-Autoren bereits beschrieben - diese Adaption jedoch wirkt wie ein flockig-buntes, mit ein bisschen Action und Verfolgungsjagden aufgepepptes und komplett vorhersehbares Unterhaltungsfilmchen aus dem Nachmittagsprogramm des Deutschen Fernsehens. Es beginnt schon damit, dass der Film dem Zuschauer zu keiner Sekunde vorenthält, was eigentlich gespielt wird, welcher der handelnden Personen und widerstreitenden Parteien gerade welchen Wissensstand über die wahren Hintergründe hat und setzt sich fort in den ebenso phantasielos wie penetrant jugendfrei inszenierten Actionsequenzen, die nicht einmal mehr einen Hauch des einstigen Könnens John Woos verspüren lassen. Wo sich in "The Killer" und "Hard boiled" die Leichen im Hunderterpack billiger stapelten, kämmt sich Ben Affleck in "Paycheck" nach überstandener Verfolgungsjagd einmal die akurat geföhnten Haare. Hinzu kommen einige wirklich schreiende Plot-Holes: In der wohl ärgerlichsten Szene des Films kann sich Ben Affleck in einem Café nicht mehr an Uma Thurman erinnern, obwohl sich die beiden zu einem Zeitpunkt kennen lernten, der aus Jennings Gedächtnis nicht gelöscht wurde.

Der einsame Held auf der Flucht, auf sich allein gestellt und gejagt von gleich mehreren widerstreitenden Gruppierungen - um wie vieles großartiger verkörperte Harrison Ford den Menschen als gehetztes Wild in Andrew Davis' hervorragendem "Fugitive". Die verzweifelte Suche nach der verlorenen Erinnerung und das Zusammensetzen der Vergangenheit aus einzelnen Puzzlestücken - Christopher Nolan setzte dieses Motiv bislang unerreicht in "Memento" in Szene. Und das bei Philipp K. Dick so häufig anzutreffende Thema vom Blick in die Zukunft und dessen Auswirkungen auf das Schicksal eines einzelnen Individuums konnte von Steven Spielberg in "Minority Report" mit wirklicher philosophischer Tiefe gefüllt werden - in "Paycheck" hingegen sind all diese Motive nur flüchtige, kaum zueinander kongruente Versatzstücke eines poppig-bunten Unterhaltungs-Fast-Foods. Dabei hat Dicks Geschichte tatsächlich eine Botschaft: "Zeigst Du einem Menschen seine Zukunft, dann hat er keine mehr", lautet die philosophisch verbrämte Quintessenz, die jedoch im Film im Rauschen von Nachmittags-TV-kompatibler Popcorn-Action untergeht.

Auch ein verstörendes Leitmotiv aus Woos Hongkong-Zeiten hat sich in seinen amerikanischen Filmen spätestens mit "Windtalkers" völlig verloren: die exzessiv ausgespielte Hassliebe zwischen zwei letztlich seelenverwandten Gegnern. In "The Killer" führte sie zur homoerotisch angehauchten Bruderbeziehungen zwischen Cop und Hitman, in "Hard Boiled" zur Blutsbrüderschaft von Polizist und Geheimagent, in "Face Off" sogar bis zum Identitäts- und Gesichtertausch von John Travolta und Nicholas Cage. Der Filmkritiker Wong Sum fand für die antagonistischen Männerkonstellationen in Woos Filmen das passende Bild von den siamesischen Zwillingen der Sonnengöttin, die man nach der Geburt getrennt hat, und die sich nach einer Wiedervereinigung sehnen. In "Paycheck" gibt es als Bösewicht nur eine blasse Trantüte, die mit dem Helden einmal zusammen die Schulbank drückte. Verrückterweise ist Berufs-Softie Aaron Eckhart, der in "The Core" noch als tiefbohrender Terranaut die Welt rettete, in dieser Rolle so irrwitzig fehlbesetzt, dass es schon wieder richtig Spaß macht, ihm beim grimmigen Fuchteln mit großkalibrigen Kanonen zuzuschauen.

Ansonsten braucht zu den Darstellern nicht viel angemerkt zu werden. Ben Affleck mag in "Chasing Amy" oder "Good Will Hunting" seine Berechtigung gehabt haben, als Action-Mime ist er schlicht eine Null. Uma Thurman läuft als Loving Interest des adretten Helden wie nicht zu erwarten darstellerisch auf unterster Sparflamme und liefert wohl aus Frust darüber in einigen Szenen eine leicht vergeistigte Performance. Und Colm Feore hat als Handlanger Wolfe des Bösewichts nicht einmal annähernd das Format früherer Schurkenfiguren Woos wie beispielsweise des wunderbaren Philipp Kwok als ritterlicher Yakuza-Killer Mad Dog in "Hard boiled".

Wenigstens seinen Humor hat John Woo angesichts des künstlerischen Desasters von "Paycheck" nicht verloren. So zitiert er sich selbst mit gleich zwei Mexican Standoffs und liefert die unvermeidliche weiße Taube in einer völlig albernen Traumsequenz. Und im knallbuntig fröhlichen Feelgood-Finale des Films, in dem sich alle wieder ganz doll lieb haben, muss dann sogar die Vogelkäfig-Szene aus dem Beginn von "Hard boiled" dran glauben.

In jedem Fall sei "ein richtig guter Film" nötig, um den Ruf John Woos und des Hongkong-Kinos zu retten, schrieb ein Rezensent der "taz" bereits vor sechs Jahren. Doch allein um über die Chancenlosigkeit einer solchen Rehabilitierung nachzudenken, ist dieses luftige Nichts zu kurz. Noch bevor man "straight-to- video" sagen kann, ist der Streifen vorbei, und man fragt sich ganz ernsthaft und grundsätzlich, ob der ganze John-Woo- und Hongkong-Hype nicht doch nur das Ergebnis einer durch chinesische Restaurants verbreiteten Massenhypnose war.

Besucher Nr. seit 26.01.2004


Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.

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