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Kino - dafür werden Filme gemacht

Der Einsatz

Gesehen am 25.12.2003 im Residenz Kinocenter Bückeburg (Sneak Preview)

Kritik von Johannes Pietsch

"Denn als Geister ruft euch nur zu diesem Zwecke erst hervor der alte Meister", heißt es bekanntermaßen am Schluss von Johann Wolfgang von Goethes "Zauberlehrling". Die Meister-Schüler-Konstellation, hier in Gedichtform exemplarisch an Hand jenes unvernünftigerweise sein Reinigungsgerät zum Wasserholen animierenden literarischen Harry-Potter-Vorgängers vorexerziert, gehört zu den ebenso beliebten wie genreübergreifenden Motiven des Films und der Literatur. Ob im Western, wo oft genug ein gealterter, aber umso erfahrener John Wayne schneller zog als das Greenhorne, in Polizei-Thrillern, wo beispielsweise "The Rookie" Charlie Sheen vom abgebrühten Cop-Schlachtross Clint Eastwood den richtigen Umgang mit den harten Jungs gezeigt bekam, oder in Umberto Ecos unsterblichem "Name der Rose", dessen literarische Protagonisten William von Baskerville und sein Novize Adson von Melk auf der Leinwand so kongenial von Sean Connery und Christian Slater verkörpert wurden.

In "The recruit" (deutscher Titel "Der Einsatz") stellt Spionage-Spezialist Roger Donaldson ein solches Quasi-Vater-Sohn-Gespann in den Mittelpunkt des Geschehens und lässt vor dem Hintergrund der Welt der Agenten und Spione zwei Schauspielergenerationen zum hochklassigen Darsteller-Duell antreten. Eine wechselvolle Leistungsbilanz hat der 58jährige Australier vorzulegen: 1987 lieferte er mit dem rasanten Verschwörungs-Reißer "No Way Out", einem Remake des Noir-Klassikers "The big clock" mit Ray Milland und Charles Laughton, nicht nur das Sprungbrett zur Weltkarriere für Hauptdarsteller Kevin Costner, sondern ein ebenso meisterhaftes wie wegweisendes Stück Hochspannungs-Kino, das ganz nebenbei zwölf Jahre vor M. Night Shyamalans "The 6th Sense" das Stilmittel des alles ins Gegenteil verkehrenden Plot-Twists am Ende vorwegnahm. Mit oberflächlichen Mainstream-Produktionen hingegen wie dem Tom-Cruise-Vehikel "Cocktail", der seichten Robin-Williams-Komödie "Cadillac Man" oder dem zwiespältigen "Getaway"-Remake verspielte Donaldson viel von seinem Renommee. Erst mit der äußerst ambitionierten Verfilmung der Kubakrise "Thirteen Days" kehrte der Australier anno 2000 zu alter Souveränität zurück.

Mit "The recruit" nimmt er sich erneut des Spionage-Genres an, diesmal jedoch nicht auf weltpolitisch bedeutsamem Parkett wie in "No Way Out", wo Skandale um einen russischen Spion und eine tote Ministergeliebte das Weiße Haus erschütterten, oder der ganz realen Bedrohung der gesamten Menschheit durch den atomaren Overkill in "Thirteen Days", sondern auf der Ebene der Subalternen, der Ausbilder und Berufsstarter im Geschäft des Täuschens und Tarnens. "Nothing is what it seems", so lautet das Credo im Alltag der Geheimdienst-Handwerker der Central Intelligence Agency. So geheimnis- und legendenumwittert die US-Auslandsspionage auch sein mag, so unspektakulär fällt die Rekrutierung für Computer-As James Clayton (Colin Farrell) aus: An einer Bar offeriert CIA-Talent-Scout Walter Burke (Al Pacino) dem Harvard-Absolventen, der auf Messen mit einer spektakulären (und natürlich völlig unrealistischen) Software auf sich aufmerksam machte, eine Karriere bis in die höchsten Ränge des amerikanischen Geheimdienstes. Bereits an dieser Stelle trägt Roger Donaldson die Klischees deutlich zu dick auf, wenn er - wie könnte es auch anders sein - den Heißsporn Clayton vor der unvermeidlichen Bar-Kulisse erst dann auf das Angebot Burkes eingehen lässt, als dieser ihm verspricht, die Hintergründe des mysteriösen Todes seines Vaters aufzuklären.

Von diesem Moment an biegt "The recruit" in die vergleichsweise ruhigen Bahnen von Claytons Ausbildungsweg bei der CIA ein. Die geheimnisumwitterte "Farm" in Virginia, auf der den Adepten die ersten Schritte des Agentenhandwerks beigebracht wird, nimmt sich bei Roger Donaldson aus wie eine amerikanisierte Variante der Zauberschule Hogwarts. Ungewöhnlich lange beharrt der Film in diesem Szenario, schildert akribisch die Ausbildungsinhalte und -Schritte Claytons und - ganz im Stile eines klassischen Pennäler-Movies -erotische Verwirrungen durch die attraktive Mitschülerin Layla (Bridget Moynahan), wobei Donaldson den Zuschauer völlig im Unklaren darüber lässt, wohin sich die Story letztendlich überhaupt entwickelt. Als Clayton bei einem Härtetest versagt und als Konsequenz aus der Agentenschule geworfen wird, schwant dem Zuschauer bereits Schlimmes: Entwickelt sich "The recruit" gar zu einer lupenreinen, modernisierten "Top Gun"-Variante, in der der jugendlich-ungestüme Held ob seines Draufgängertums zwar die abstrakten, theoretischen Anforderungen seiner Ausbildung nicht erfüllt, sich dafür aber im ersten und alles entscheidenden praktischen Einsatz gegen die Feinde der Freiheit, der westlichen Welt und der freien Marktwirtschaft umso triumphaler bewähren und damit rehabilitieren darf?

Aber nein, so billig halten es Roger Donaldson und seine Drehbuchautoren Roger Towne, Kurt Wimmer und (uncredited) Oscar-Gewinner Akiva Goldsman ("A beautiful mind") dann glücklicherweise doch nicht. "Nothing is what it seems", bewahrheitet sich erst recht, als Clayton von seinem Entdecker und Mentor Burke für eine CIA-interne Ermittlung undercover reaktiviert und auf seine eigenen Ex-Kollegen angesetzt wird. In diesem Moment nimmt das Verwirrspiel um Finten und falsche Fährten, um Täuschen, Verrat und falsches Spiel mit doppeltem Boden Fahrt auf und erreicht - wenn auch nur stellenweise - die Intensität des geistigen Vorgängers "No Way Out". Auch dort sah sich ein einzelner Gejagter zwischen den Fronten, auf fatale Weise abgeschnitten durch seine Aufgabe und sein Wissen von allen rettenden Ufern des Vertrauen-Könnens, aus dem Zwang der fatalen Situation auf sich allein gestellt und dazu verurteilt, bei keiner einzigen Seite Hilfe erwarten zu können.

Deutlich hebt sich der Stil der Inszenierung von dem inhaltlich eng verwandten "Spy Game" ab. Wo Ex-Werbefilmer Tony Scott die Handlung mit visuellen Stilmitteln wie radikalen Schnittwechseln oder regelmäßig eingeblendeten Zeitanzeigen vorantrieb, vertraut Roger Donaldson ganz auf das Charisma und den Star-Appeal seiner beiden Hauptdarsteller. Action findet nur vereinzelt in den Mündungsläufen von Pistolen oder Autoverfolgungsjagden statt, die noch dazu - ganz im Kontrast zum reißerischen Stil Scotts - sehr zurückhaltend inszeniert bleiben - sondern überwiegend zwischen den Augen und den Ohren der Hauptdarsteller.

Al Pacino gibt seinen CIA-Anwerber zwar nicht mit der ausufernden darstellerischen Brillanz früherer Tage, aber doch mit aller nötigen Routine und der entspannten Nonchalance des erfahrenen Hollywood-Stars. Die Parallelen zu Robert Redfords Walter Muir aus "Spy Game" sind unübersehbar: Auch Walter Burke ist ein Spion alter Schule, ein abgeklärter, routinierter Profi, ein mit allen Wassern gewaschener alter Hase des Agentengeschäfts wie Frederick Forsyths Sam McCready oder Colin Forbes Tweed, ein Veteran lange zurückliegender Glanzzeiten des amerikanischen Geheimdienstes, in denen der Ruf der Agency noch nicht durch das völlige Versagen vor dem 11. September 2001 in Grund und Boden ruiniert war. "Our failures are known", bemerkt Pacino dazu, "our successes are not." Wie Muir ist Burke ein kühl taktierender Marionettenspieler, der am liebsten Personen wie Schachfiguren in seiner persönlichen Schlachtplänen positioniert und im Widerstreit der Mächte einsetzt, ohne die dabei handelnden Personen selbst über ihre Funktion aufzuklären.

Darstellerisch spult Pacino die meiste Zeit sein routiniertes Standardrepertoire ab, wobei er zu Beginn genussvoll den charmanten, mephistophischen Verführer durchschimmern lässt, der in seinem Opfer Farrell die Begierde auf bislang nicht gekannte Erfahrungen zu wecken gedenkt: "Do I have to kill anyone?" fragt Clayton den CIA-Talentsucher bei ihrem ersten Aufeinandertreffen. Larmoyante Antwort: "Would you like to?" Erst im Finale läuft der 63jährige Pacino noch einmal kurz zu alt gewohnter darstellerischer Over-the-top-Performance auf, als wolle er das fehlende Engagement der vorangegangenen 80 Filmminuten mit einem Kraftakt wettmachen, was jedoch gegenüber so grandiosen Auftritten wie im filmischen Meilenstein "Heat" oder in "The insider" nur wie ein kurzes Aufflackern wirkt.

Ohnehin ist Pacino während des ganzen Films allenfalls Co-Star: Den Fokus des Geschehens und damit die Perspektive des Zuschauers hält Roger Donaldson ausnahmslos auf seinen eigentlichen Star Colin Farrell, der absolut glaubhaft sowohl den jugendlichen Tatendrang des Informatik-Hotshots Clayton als auch die wachsenden Zweifel und die sich zur Verzweiflung ausufernde Paranoia der Hauptfigur zu verkörpern versteht und damit nicht nur gegenüber Pacino einen wirkungsvollen darstellerischen Kontrast setzt, sondern auch seinen bisherigen Rollen eine interessante neue Facette hinzufügt. Als dritte im Bunde weiß sich Bridget Moynahan mit einer sehr ansprechenden Darstellung zu behaupten.

Nicht ganz im Einklang zur Qualität der Darsteller steht jedoch der Gehalt des Drehbuchs, welches zum Schluss allzu ausgetretene Pfade bemüht. Zwar werden Walter Burkes eherne Regeln "Trust no one" und "Everything is a test" dem Zuschauer an jeder zweiten Wegbiegung der Story wie ein Mantra förmlich vorgebetet, die Auflösung des CIA-internen Intrigantenstadls erfolgt letztendlich jedoch viel geradliniger und vorhersehbarer als zuvor vermutet. Vielleicht wollte Donaldson das in letzter Zeit ein wenig zu häufig bemühte und daher leidlich überstrapazierte Prinzip des alles umkehrenden Plot-Twistes nicht über Gebühr beanspruchen, doch etwas weniger erzählerische Dutzendware und ein Schuss mehr "No Way Out" hätten dem Film deutlich besser zu Gesicht gestanden.

Im Gegensatz zu Tony Scotts "Spy Game", der die CIA als einen restlos inkompetenten Bürokratenmoloch verspottete, geht Donaldson mit der amerikanischen Marke Horch und Guck nicht so hart ins Gericht. Nur ein paar kleine Seitenhiebe kann sich auch der Australier nicht verkneifen: Geheimagenten telefonieren da auch schon einmal von einem öffentlichen Münzfernsprechern, und die Geheimdienstzentrale in Langley trägt bei Donaldson allen Ernstes den klangvollen Titel "George Bush Center of Intelligence" - ein süffisanteres Oxymoron hätte ihm kaum einfallen können!

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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.

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