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Kino - dafür werden Filme gemacht

A.I.

Kritik von Michael Appel

Große Ereignisse werfen ihre dunklen Schatten zuweilen auf die seltsamsten Weisen buchstäblich voraus. So erhebt sich im Saal am Tag des Startes von A.I. Artificial Intelligence ein Raunen wie eine langsam an den Strand rollende Welle, als die obersten Stockwerke der Zwillingstürme des World Trade Centers aus dem in der Zukunft überfluteten cor mundi, New York, ins Bild kommen, starr ragend wie Skylla und Charybdis, bereit, den Zuschauer im Strudel der hervorgerufenen Assoziationen zu zermalmen, seine Gedanken vom Film fortzureißen wie ein hilfloses Stück Treibholz. Es bedarf einiger Willensanstrengung, den Blick und den Kopf wieder abzuwenden, in banger Ahnung, daß von nun an in allen New York-Filmen die Türme lauern werden wie blendende Leuchtfeuer, unwillentlich.

Der Mensch bleibt des Menschen schlimmster Wolf, und wenn unsere Maschinen wie wir werden, ist es nur folgerichtig, daß sie alle Grausamkeiten erfahren, die wir erleiden: "I'm sorry I didn't tell you about the world", sagt Monica Swinton weinend, als sie ihren Robotersohn David im Wald aussetzt, und obwohl John Williams' Musik spielt, als wären die Saiten der Instrumente mit Tränen geschmeidig gemacht worden, und obwohl Janusz Kaminskis Kamera zum Weinen schöne Gegenlichtbilder zeigt, fährt Monica davon und mit ihr ein weiterer von zahllosen hochinteressanten Diskussionsansätzen, die Steven Spielberg wie ein verzogenes Kind gierig anreißt, nur um sie Minuten später gelangweilt wegzuwerfen wie altes Spielzeug.

Kein Spielzeug im Sinn haben die "supernerds" um William Hurt als prometheischem Professor, der in einer fernen Zukunft plant, nicht mehr allein Arbeits- und Lustroboter herzustellen, sondern mechanische Kinder, die ihren "Eltern" mit echter Liebe begegnen sollen. Eine Marktlücke tut sich auf, da in der Zukunft, in der die Polkappen geschmolzen sind und in der die steigenden Ozeane Küstenstädte überall auf der Welt vernichtet haben (Ben Kingsley erzählt zu Anfang fast noch nonchalant, um am Ende, wie alles, umso grimmiger im Kitsch zu suhlen), nur die wenigsten eine Lizenz zum Kinderkriegen erhalten. Die Wissenschaftler werfen gleich selbst die drängenden ethischen Fragen auf, und der Zuschauer wartet gespannt, wie Spielberg, hier Stanley Kubricks Freund und Erbe, die Fortsetzung der Tamagotchis und Aibos mit anderen Mitteln filmisch realisieren wird.

Zu Anfang erstaunlich gut, wobei ihm der unscheinbare Sam Robards und die eher farblos-künstliche Frances O'Connor als Eltern, deren leiblicher Filmsohn seit fünf Jahren im Koma liegt, nur bedingt helfen.

Dafür kann sich Spielberg voll und ganz auf den immer wunderbaren Haley Joel Osment verlassen, der als naives, nie schlafendes, niemals blinzelndes und ständig lächelndes Automatenkind mit einfachen Mitteln so glaubhaft artifiziell wirkt, daß man fast Angst bekommt. Warum William Hurts Firma keine Maschinen baut, die sich weniger furchterregend und mehr wie ein junges Kind verhalten, kann man angesichts von Osments großartiger Leistung hier noch fast genauso unter den Tisch fallen lassen wie die merkwürdig rasch-unbegründete Entscheidung der Mutter Monica, den Roboter an Sohnes Statt zu adoptieren und ihm unauslöschlich bedingungslose Mutterliebe einzubrennen.

Spätestens jedoch, als - sie wachen immer auf - der wahre Sohn Martin endlich die Augen aufschlägt und beginnt, den nichtsahnenden David, obwohl genug Platz für alle ist, aus der Kleinfamilie herauszumobben, wird auch der wohlwollendste Zuschauer stutzig: da soll man nicht nur glauben, daß Roboter Angst und Schmerz empfinden können, sondern auch, daß eine Firma, die in der Lage ist, völlig natürlich aussehende Haut und Augen nachzubilden, vergißt, seinen Robotern einzuprogrammieren, daß sie nichts essen sollen, da sonst ihre Schaltkreise kaputt gehen. Wasser dagegen scheint der kleine David schlucken zu können und zu müssen, da er im Pool lächerlicherweise nicht schwimmen kann, wie ein Stein versinkt und so einen Beinahe-Unfall verursacht, der seine zunehmend gestört agierende Mutter (die Martins üble Machenschaften dadurch belohnt, daß sie ihm eine Geschichte in seinem Bett vorliest, während David auf dem Boden kauern muß wie ein räudiger Hund; Osments bewegende Darstellung entschädigt hier zumindest ein wenig für die absurde und die vorigen Szenen völlig negierende Kaltherzigkeit) dazu bringt, ihn und seinen sprechenden Teddy schließlich im Wald auszusetzen. Fassungslos vor Entsetzen bleiben David und der Zuschauer zurück und fragen sich, welche unerklärten Stimmungsschwankungen Monica so zwischen Liebe und Haß schwanken lassen, daß sie ihr Pflegekind wegwirft wie einen nassen Lappen.

Auftritt Jude Law als Gigolo Joe, und einmal noch ist man gewillt, Spielberg die Nachlässigkeiten, diesmal die Implikation, man könne Adoptivkinder, für die man die Verantwortung übernommen hat, wegschmeißen wie benutzte Taschentücher, zu verzeihen: als charmant tänzelnde, beredt säuselnde und wundervoll enthusiastische Jiminy Cricket-Reinkarnation ist Law nicht nur als Liebesautomat, sondern auch auf der Flucht vor der drohenden Verhaftung für ein (ebenfalls nie erklärtes) Verbrechen, das er nicht begangen hat, eine reine Freude und im stimmigen Verbund mit Osment und dem klugen Teddy ein echter Grund, sich wenigstens die erste Hälfte von A.I. Artificial Intelligence anzusehen.

Fast kommt es zu keiner zweiten Hälfte, da Joe und David von Brendan Gleeson und seinen Männern in einer seltsam unangebracht lärmigen, Tron nachempfundenen Actionszene gefangen werden, um vor grölenden Hillbillies geröstet zu werden wie Heiden auf dem Scheiterhaufen. Wieder öffnet sich eine neue Ebene des Umgangs der Menschen mit den Maschinen, und wieder flieht Spielberg sie binnen kurzem so ängstlich, als wäre er selbst ein Roboter, der fürchtet, in tiefen Wassern rettungslos zu versinken. Verschenkt ist die Diskussionsgelegenheit und mit ihr ein weiteres Stück des immer fahriger werdenden Films.

David und Joe also kommen frei, und ihre Suche nach der blauen Fee aus "Pinocchio", von der David glaubt, daß sie ihn in einen echten Jungen verwandeln kann, und von der Gigolo Joe glaubt, daß er ("I know all about women") sie beglücken kann, bis sie ihre Farbe wechselt, findet nach einer allzu zaghaften, seltsam peinlich-klebrigen und unglaubhaft züchtig-keuschen Sequenz im neonleuchtenden Sündenbabel Rouge City schließlich ihr Ende in der ewigen Stadt New York, natürlich.

Hätte auch Steven Spielberg hier das Ende seines Filmes gefunden, und sei es mitten in einem Satz aus Davids Mund, es wäre um Äonen besser gewesen im Vergleich mit dem, was nun noch über dreißig Minuten lang folgt, bis endlich die letzten Lampen ausgehen wie die in Spielbergs Oberstübchen. Plumpe Zitate aus Blade Runner, Close Encounters of the Third Kind und E.T. the Extra-Terrestrial vermengen sich mit fragwürdigen Gottkomplexen, unmotivierter und unerforschter "Auto"aggression, haarsträubendem Techno- und New Age-Babble, bio- und formal logischen Unmöglichkeiten, Waltons Nostalgie und unerträglich rosarotem Kitsch-Fallout nach und nach zu einer immer grausamer deformierten Fratze, die ein wohliges Happy-End darstellen soll, aber nur wirkt, als lache sie Stanley Kubrick und allen Zuschauern ins Gesicht wie ein zähnefletschender Clown um Mitternacht, so fürchterlich deplaziert wie lächerlich vergeudet.


Diese Kritik ist die Meinung von Michael Appel.

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